Wie ist es möglich, dass eines der teuersten Gesundheitssysteme der Welt in der Corona-Pandemie so rasch an den Anschlag kommt? Wie sich zeigt, haben es allen voran die für die Gesundheitsversorgung verantwortlichen Kantone versäumt, sich auf den Ernstfall vorzubereiten. Man habe nicht nur aus Kostengründen darauf verzichtet, Tausende von Reservebetten aufzubauen, entgegnet GDK-Präsidentin Heidi Hanselmann.
SRF News: Der nationale Pandemiepläne liegt seit 2004 vor. Die Kantone hatten also 16 Jahre Zeit, die benötigen Reservekapazitäten für Notlagen aufzubauen. Haben die Kantone die Vorgaben des Bundes nicht ernstgenommen?
Heidi Hanselmann: Die Kantone haben die Pandemiepläne selbstverständlich erarbeitet und dabei beispielsweise den Spitälern auch Empfehlungen für Pflichtlager abgegeben. Eventuell müssen wir aus der heutigen Situation tatsächlich lernen, dass aus Empfehlungen Verpflichtungen werden müssen. Interessant ist aber auch der Fakt, dass wir seit Jahren die Botschaften seitens der Politik und der Versicherer hören, die Spitalkapazitäten seien überdimensioniert und es würden zu viele Betten betrieben. Das geht mit dem Vorwurf, dass zu wenig Zusatzkapazitäten bereitgehalten worden seien, nicht auf.
Eventuell müssen wir aus der heutigen Situation tatsächlich lernen, dass aus Empfehlungen Verpflichtungen werden müssen.
Berechtigterweise darf man sich aber auch fragen, ob das Konzept der Vorhaltebetten tauglich ist. Denn es bringt aus unserer Sicht wenig, veraltete Infrastruktur für eine ausserordentliche Lage bereitzuhalten.
Die Bekämpfung des Coronavirus wird Milliarden kosten. Hat man nicht Prioritäten falsch gesetzt, wenn man aus Kostengründen auf den Aufbau der Reservekapazitäten im Spitalbereich verzichtet hat?
Man hat nicht nur aus Kostengründen darauf verzichtet, Tausende von Reservebetten aufzubauen. Man muss auch das tun, was zielführender ist. Und unser Konzept heisst: Moderne Medizin mit zeitgerechter Infrastruktur auch in der Krise. Deshalb wird in den Spitälern auf nicht dringende Operationen und Therapien verzichtet. Denn so können Betten rasch freigemacht werden. Diese Organisation läuft bereits seit Tagen. Das bringt mehr, als verstaubte Betten zu putzen, die in normalen Zeiten jahrelang nie gebraucht werden. Betten freimachen ist das eine, genügend Fachpersonal finden ist heute tatsächlich ein Knackpunkt.
Unser Konzept heisst: Moderne Medizin mit zeitgerechter Infrastruktur auch in der Krise.
Im Nachhinein ist man immer schlauer. Welche Lehren ziehen Sie aus der jetzigen Situation?
Es ist klar, dass es Manöverkritik braucht. Der richtige Zeitpunkt dazu ist aber nach der Krise. Jetzt brauchen wir unsere ganze Energie und Aufmerksamkeit für die Bewältigung der unmittelbar wichtig anstehenden Aufgaben. Darauf müssen wir nun aktuell wirklich den ganzen Fokus legen.
Es ist klar, dass es Manöverkritik braucht. Der richtige Zeitpunkt dazu ist aber nach der Krise.
Müsste man nicht die Planung von Notlagen samt Umsetzung im Gesundheitsbereich an den Bund delegieren und ihm ein Weisungsrecht geben, damit er sich durchsetzen kann, wenn ein Kanton etwas nicht umsetzt?
Genau solche Fragen müssen Teil einer Manöverkritik sein. Der Föderalismus ist der Pulsschlag unserer politischen Struktur in der Schweiz. Wo es nach der Erfahrung der Pandemiebewältigung Veränderungen braucht, müssen wir nach der Krise mit Über- und Klarsicht diskutieren. Jetzt dürfen wir uns aus unserer Sicht nicht verzetteln. Wir müssen den Fokus auf den Schutz der Bevölkerung legen und unsere ganze Kraft für die notwendige Gesundheitsversorgung für die Menschen einsetzen.
Das Gespräch führte Philipp Burkhardt.