Der SVP-Präsident müsse nicht immer im Mittelpunkt stehen. So reagiert Marco Chiesa auf die Kritik, man nehme ihn nach bald einem Jahr im Amt kaum wahr.
Der 46-jährige Betriebswirtschafter hat eine steile Karriere hingelegt: Der erste Tessiner SVP-Ständerat. Der erste Tessiner im SVP-Vizepräsidium. Und nun der erste Tessiner SVP-Präsident. Aber Chiesa ist keine charismatische Persönlichkeit. Manchmal entsteht der Eindruck, er sei mehr Parteisekretär als Parteipräsident.
Chiesa leitet die Partei aus dem Hintergrund. Bei den grossen Themen treten andere in den Vordergrund. Zum Rahmenabkommen spricht Fraktionschef Thomas Aeschi. Gegen das CO2-Gesetz kämpfte an vorderster Front der junge Solothurner Nationalrat Christian Imark. Im Parlament wettert Magdalena Martullo gegen die Corona-Politik des Bundesrats.
Bunter Haufen an Parteigrössen
Chiesa versucht diesen bunten Haufen zusammenzuhalten – das scheint ihm bis jetzt recht gut zu gelingen.
Das Chiesa andere reden lässt und selber kaum auftritt, hat auch mit der Sprache zu tun. Er geht jede Woche in den Deutschkurs, aber das Debattieren in der Deutschschweiz fällt ihm noch immer recht schwer. Im Tessin und besonders auch in der Westschweiz (Chiesa spricht sehr gut Französisch) ist er deutlich präsenter.
Kann das gut kommen mit einem unbekannten Tessiner, fragten sich vor einem Jahr viele. Und nachdem die SVP die Begrenzungs-Initiative kurz nach Chiesas Amtsantritt im letzten Herbst deutlich verloren hatte, sahen viele Politbeobachter die Partei mit ihrem neuen Präsidenten in einer Krise. Auch bei den meisten kantonalen Wahlen verlor die Partei Sitze.
Das neue Feindbild der SVP
Doch in jüngster Zeit reiht sich ein Erfolg an den nächsten. Das von der SVP bekämpfte Rahmenabkommen hat der Bundesrat gleich selber bachab geschickt. Das CO2-Gesetz bodigte die SVP fast im Alleingang. Alleine gegen alle anderen – in dieser Rolle war die Partei schon immer stark. Und nun scheint die SVP nach der «Classe Politique» auch ein neues Feindbild für die nächsten eidgenössischen Wahlen gefunden zu haben: Die urbane, grüne Stadtbevölkerung, die dem Land angeblich vorschreiben wolle, wie man zu leben habe.
Aber mit dem neuen Präsidenten hat das alles wenig zu tun. Marco Chiesa lacht nur laut, wenn man ihn fragt, ob er zu diesen Erfolgen beigetragen habe.
Die Partei wird inzwischen nicht mehr von ganz wenigen, sondern vielen verschiedenen Köpfen geprägt. Übervater Christoph Blocher tritt nur noch selten auf und hat sich aus der aktiven Parteipolitik verabschiedet.
Als erste grosse Partei hat die SVP damit einen Wandel vollzogen: Nicht der Präsident, das Programm weist den Weg. Und dieses Programm vertreten viele grössere und kleinere Partei-Persönlichkeiten nach aussen.