«Ich gebe gerne zu, wir haben uns verschätzt», sagt Bundesrat Johann Schneider-Ammann am Tag nach der Annahme der Einwanderungs-Initiative im Interview mit «ECO». «Ich war tatsächlich zuversichtlich. Ich habe mir gesagt: Es betrifft das ganze Land. Es betrifft direkt oder indirekt jeden Arbeitsplatz. Ergo wird die Schweizer Bevölkerung besonders sorgfältig überlegen, ob es ein neues System sein darf oder nicht.»
Dass er als Bundesrat zu wenig präsent gewesen sei, um die Nachteile dieses Entscheids aufzuzeigen, lässt der Wirtschaftsminister nicht gelten. «Ich war an vielen Anlässen. Ich habe mich wöchentlich eingebracht. Ich habe ganz bewusst auch Regionen aufgesucht, wo man wusste, dass es heikel sein könnte», sagt er. «Wir haben Vor- und Nachteile aufgezeigt in beiden Fällen. Es ist uns etwas zu wenig gelungen – und deshalb haben wir jetzt diese Entscheidung zu akzeptieren.»
Er werde in den kommenden Wochen Wirtschaftschefs und Sozialpartner einladen, um Ideen zu kreieren zuhanden des Bundesrates. «Es ist im vitalen Interesse des Landes, dass wir die Unsicherheiten wegbringen, damit hier investiert wird, damit die Firmen hier bleiben, damit Firmen wieder herkommen», betont Johann Schneider-Ammann. Die hohe Beschäftigung im Land dürfe nicht riskiert werden.
Wie gleichzeitig Wirtschaft befördern und Zuwanderung begrenzen?
Ökonomen der Credit Suisse beziffern heute bereits die Konsequenzen: In der Folge der Entscheidung dürften in den kommenden Jahren bis zu 80'000 Arbeitsplätze in der Schweiz weniger geschaffen werden. Johann Scheider-Ammann sagt dazu: «Ich spekuliere nicht, und ich habe keine Modellrechnungen, die mir sagen, es gibt dann so und so viele Jobs weniger.» Die Initianten müssten dem Bundesrat nun zeigen, wie man gleichzeitig die Wirtschaft befördern und die Zuwanderung begrenzen wolle.
Die Konsequenzen könnten aus der Sicht des Bundesrats gravierend sein. «Mit dem gestrigen Abstimmungsergebnis haben wir uns möglicherweise einen Nachteil eingehandelt, was das freie Sich-Entfalten unserer Firmen bedeutet», so Johann Schneider-Ammann. Umso wichtiger sei es, dass die Schweiz Zugang zu einzelnen Märkten habe. Dabei spielt er auf das Freihandels-Abkommen mit Indien an, über welches er im Moment verhandelt.
Nicht-Offenlegung der Mandate «war ein Fehler»
Johann Schneider-Ammann äussert sich im Interview auch zu den Vorwürfen, er habe vor seiner Wahl zum Bundesrat nicht sämtliche Mandate offengelegt. «Das war eine Unsorgfalt, es war ein Fehler.» Er habe sich im September 2010 dafür entschuldigt. Auch den Vorwurf, mit Offshore-Firmen unmoralisch gehandelt zu haben, weist er zurück.
Zu keinem Zeitpunkt habe er daran gedacht, sein Amt niederzulegen. «Ich habe mir gesagt: Du hast dir nichts zuschulden kommen lassen. Ich habe mir gesagt: Ich habe anständiges Unternehmertum betrieben. Und ich habe mir gesagt: Du bist eingestiegen in dieses Amt, um mitzuhelfen, Wirtschaft und Politik zusammenzuführen zum Wohle des Landes.» Der Gedanke an einen Rücktritt sei ihm fremd.