Die Partnerin schlagen, den Ehemann bedrohen oder noch schlimmer: Jede zweite Woche stirbt in der Schweiz jemand an den Folgen von häuslicher Gewalt. Auch die aktuelle Lage sei eine akute Stresssituation, die sich negativ auswirken dürfte, so die Zürcher Justizdirektorin Jacqueline Fehr : «Man weiss aus Erfahrung, dass mit erhöhtem Stress und Druck auch das Risiko für häusliche Gewalt klar steigt.»
Man weiss aus Erfahrung, dass mit erhöhtem Stress und Druck auch das Risiko für häusliche Gewalt klar steigt.
Dargebotene Hand: Anfragen nicht nur von Privaten
Dieser Druck zeigt sich auch bei der Dargebotenen Hand. Geschäftsführerin Sabine Basler sagt, in den vergangenen zwei Wochen seien in der Schweiz unter der Nummer 143 fast 2000 Anrufe wegen des Coronavirus eingegangen. Darunter seien zahlreiche wegen häuslicher Gewalt.
Und nicht nur Private wenden sich an die Telefonberatung, sondern auch überlastete Institutionen, wie Basler sagt: «Zurzeit erhalte ich von verschiedenen Organisationen dringende Anfragen um Unterstützung, und zwar auch am Wochenende. Dies zeigt, wie gross die Not ist.»
Kaum Spielraum bei den Frauenhäusern
Dass das engere Zusammenleben zu Spannungen führt, zeigt sich auch in den Frauenhäusern. So ist etwa das Frauenhaus in St. Gallen momentan voll belegt. Leiterin Silvia Vetsch: «Wir können nicht mehr aufnehmen, als wir Platz haben. In der Schweiz haben wir ohnehin zu wenig Betten. Wir haben das beim Bund auch schon mehrmals deponiert. Notfalls müssen wir auf Hotels ausweichen, falls solche noch geöffnet sind. »
Es zeigt sich also, dass die Institutionen nicht mehr viel Spielraum haben. Und dabei hat die schwierige Phase mit Homeoffice und Homeschooling erst gerade vor einer Woche begonnen.
Aufruf der Zürcher Justizdirektorin
Genau weil sie eine Zunahme der Fälle erwartet, hat die Zürcher Justizdirektorin Jacqueline Fehr bereits jetzt Massnahmen ergriffen: «Wir fordern die Schutzunterkünfte auf, ihre Kapazitäten auszubauen. Ebenso fordern wir die Opferberatungsstellen auf, zusätzliches Personal zu rekrutieren, um die zunehmenden Fallzahlen bearbeiten zu können.»
Wir brauchen mehr Schutzunterkünfte und zusätzliches Personal bei den Opferberatungsstellen.
Der Kanton Zürich will also gewappnet sein, sollte es tatsächlich zu einer Zunahme von häuslicher Gewalt kommen. Andere Kantone haben sich bisher nicht geäussert, ob sie auch vorsorgliche Massnahmen treffen. Gerade in den kleineren, ländlicheren Kantonen ist das eher nicht zu erwarten. Denn Frauenhäuser und andere Schutzeinrichtungen konzentrieren sich in den Städten.
Kurz raus, bevor es eskaliert
Bei einem Streit zu Hause sei es wichtig zu reagieren, bevor die Situation eskaliere, empfiehlt Natalie Schneiter von der Fachstelle für Häusliche Gewalt der Stadt Bern: «Wenn man merkt, dass man den Streit nicht mehr verhindern kann, gilt es, dass jemand die Wohnung für kurze Zeit verlässt. Rausgehen, eine Runde draussen drehen und dann wieder zurück in die Wohnung.»
Auch der Bund versucht, seinen Teil dazu beizutragen, dass die Situation für die Familien nicht noch schlimmer wird, wie Martin Dumermuth, Direktor des Bundesamts für Justiz, sagt: «Das war ein Grund, kein Ausgehverbot zu erlassen. Denn man ist sich bewusst: Je mehr und je länger man die Leute einsperrt, desto wahrscheinlich wird häusliche Gewalt.»
Je mehr und je länger man die Leute einsperrt, desto wahrscheinlich wird häusliche Gewalt.
Dass es im Laufe der Corona-Krise tatsächlich zu mehr häuslicher Gewalt kommt, ist bisher eine Vermutung. Erstaunlich ist: Die Polizeikorps der grossen Städte und Kantone haben bislang keine Zunahme festgestellt.