- Immer mehr Anfragen bei den Kirchen für Teufelsaustreibungen in der Schweiz.
- Der Trend ist nicht in allen Diözesen gleich stark.
- «Chur ist das Eldorado des Exorzismus im deutschsprachigen Raum», sagt Georg Schmid von der evangelischen Beratungsstelle Relinfo.
- Für den Churer Bischofsvikar Christoph Casetti ist Exorzismus nötig und gehört zur katholischen Kirche.
- Auch die evangelische Heilsarmee bearbeitet jährlich rund 900 Anfragen.
Eine Umfrage der «Rundschau» bei allen katholischen Bistümern der Schweiz zeigt: 2016 erbaten Gläubige mindestens 420 Mal eine Teufelsaustreibung durch einen Exorzisten.
- Im Bistum Lugano meldeten sich rund 200 Personen.
- Das Bistum Freiburg, Lausanne und Genf registrierte rund 80 Anfragen.
- Die Diözesen Basel und Chur sprechen von je 70 Fällen.
- Das Bistum Sitten konnte keine Angaben machen.
- Im Bistum St. Gallen und den Gebietsabteien Einsiedeln und St. Maurice ist Exorzismus kein Thema.
Die Dunkelziffer von Menschen, die sich besessen fühlen, ist hoch. Betroffene melden sich oft direkt beim Priester in ihrer Gemeinde. Deshalb können die exakten Exorzismus-Wünsche nur schwer abgeschätzt werden.
Sechs offizielle Exorzisten ernannt
Insgesamt stehen in der römisch-katholischen Kirche der Schweiz sechs Exorzisten im Einsatz – drei davon im Bistum Chur, wie Bischofsvikar Christoph Casetti sagt. «Die Anfragen für Teufelsaustreibungen nehmen zu.» Nicht nur von Personen aus der Schweiz. «Immer mehr Gläubige melden sich aus dem Ausland, hauptsächlich aus Deutschland, weil die Diözesen dort offiziell eher zurückhaltend sind im Befreiungsdienst», sagt Casetti, der selber von Bischof Vitus Huonder als Exorzist ernannt worden ist.
Im Bistum Basel bearbeitet der emeritierte Weihbischof Martin Gächter die Grosszahl der Anfragen. Auch in den beiden Bistümern Tessin und Freiburg, Lausanne und Genf hat der jeweilige Bischof je einen offiziellen Exorzisten ernannt. Im Bistum Sitten kümmert sich eine fünfköpfige Anhörungs- und Begleitungskommission um angeblich besessene Gläubige. Der Bischof erteilt einem Mitglied von Fall zu Fall eine Lizenz, einen Exorzismus zu praktizieren. Im Bistum St. Gallen sowie in den Abteien St. Maurice und Einsiedeln sind keine Exorzisten im Amt.
Mehr Anfragen als Austreibungen
Die Zahl der tatsächlich praktizierten Exorzismen in der römisch-katholischen Kirche ist viel tiefer als die Zahl der Anfragen. Im Bistum Chur wurden in den vergangenen zehn Jahren fünf bis zehn sogenannt grosse Exorzismen durchgeführt. Im Bistum Sitten gab es in den vergangenen fünf Jahren zwei bis drei klassische Teufelsaustreibungen, in Freiburg, Lausanne und Genf deren zwei. In Basel gab es in den vergangenen zehn Jahren einen Fall – noch unter dem ehemaligen Bischof Kurt Koch.
Zu den grossen Exorzismen kommen aber die kleinen Exorzismen hinzu, über die gar keine Statistik geführt wird. Es dürfte sich um eine viel grössere Zahl handeln.
Auch Heilsarmee bearbeitet jährlich 900 Anfragen
Mit einer zunehmenden Zahl von Menschen, die sich besessen fühlen und um Hilfe beten, sind auch Evangelikale konfrontiert. Laut Heilsarmee-Offizier Beat Schulthess erhält sein Team jährlich rund 900 Anfragen nach einem Befreiungsdienst – von rund 2000 allgemeinen Hilfe-Anfragen: «Diese Zahl ist zunehmend.»
Die Heilsarmee-Gemeinde Zürich-Oberland unter der Leitung von Schulthess ist die Anlaufstelle für Teufelsaustreibungen unter den Evangelikalen. In den vergangenen fünf Jahren musste sein Team in Uster wegen der grossen Nachfrage um rund einen Drittel aufgestockt werden. Offiziell kennt die reformierte Kirche keine Exorzismen.
Exorzismus-Hotspot Chur
Die Anfragen zum Thema hätten sich in den vergangenen fünf Jahren verdreifacht, sagt Georg Schmid von der evangelischen Beratungsstelle Relinfo. Schmid ist Anlaufstelle für Personen, die sich informieren wollen oder eine schlechte Erfahrung mit Exorzismen gemacht haben.
Teufelsaustreibungen würden heute in allen religiösen Richtungen zunehmen, sagt Schmid: «Chur ist das Eldorado des Exorzismus im deutschsprachigen Raum. Es ist geradezu ein Pilgerort für Menschen, die Exorzismen suchen.»
Der katholische Theologe Markus Arnold beobachtet diese Entwicklung mit Sorge. Dass das Bistum Chur im Kampf gegen den Teufel eine prominente Rolle spielt, sei kein Zufall, sagt Arnold, der schon mehrmals die konservative Bistumsleitung in Chur kritisiert hat. «Chur hat von der Bistumsleitung her ein Menschenbild, das sehr stark hierarchisch und entmündigend ist. Das passt sehr gut zusammen.» Der Teufel sei schon immer ein Druckmittel schwarzer Kirchenpädagogik gewesen.
«Exorzismus ist Aufgabe aller Bischöfe»
Im Bistum weist man den Vorwurf zurück. Chur sei keine Exorzisten-Hochburg und Bischof Huonder kein Exorzisten-Förderer, sagt Bischofsvikar Christoph Casetti: «Exorzismus gehört eigentlich zur Aufgabe aller Bischöfe, grundsätzlich. Dass sie eine Anlaufstelle haben für Leute mit solchen Problemen.» Und tatsächlich gebe es auch in Italien, Polen, Frankreich und auch in der Westschweiz Exorzisten.
Den Vorwurf, in Chur werde mit Exorzismen ein traditionalistisches, autoritäres Weltbild zementiert, sei absurd, sagt Casetti. Exorzismus sei nötig und gehöre zur katholischen Kirche. «Wenn man davon ausgeht, dass es die widergöttlichen Mächte gibt, ist er in jedem Jahrhundert nötig.» Jesus habe geheilt und befreit und das mache er auch in der heutigen Zeit.
Exorzismus und Psychiatrie
Psychiater Samuel Pfeifer hat mehrere wissenschaftliche Studien über die Folgen von Teufelsaustreibungen auf psychisch Leidende gemacht. Seine Berechnungen zeigen: Psychisch und seelisch Leidende glauben auffallend oft, Opfer des Teufels zu sein. «Ich gehe von ungefähr 20‘000 Personen aus, die in der Schweiz die Vermutung haben, das dämonische Kräfte einen Einfluss auf ihre psychische Befindlichkeit haben.
Das sei nicht unproblematisch: «Das eine ist, dass der Mensch sich vom Bösen beherrscht fühlt. Und das andere, und das macht mir noch mehr Sorgen, dass sie dann ihr Medikament absetzen und bewährte Formen der Therapie nicht in Anspruch nehmen und dann einen Rückfall ihrer psychischen Erkrankung haben», erklärt Pfeifer.