Der gesetzlich festgeschriebene Mindestlohn von neu 19 Franken sei der Todesstoss für ihre Firma, sagen gewisse Tessiner Unternehmer, die nicht öffentlich auftreten wollen. Einige von ihnen haben am Bundesgericht in Lausanne gegen diesen Mindestlohn rekurriert, sind aber gescheitert. Es ist das Tessiner Stimmvolk, das diesen Mindestlohn will – mit dem Ziel, dass es weniger Lohndumping gibt.
Drei Firmen stellen sich quer
Um den Mindestlohn per 1. Dezember nicht einführen zu müssen, haben nun einige Firmen noch schnell mit einer wenig bekannten Gewerkschaft einen Gesamtarbeitsvertrag abgeschlossen. Denn Firmen mit GAV dürfen laut dem vom Volk angenommenen Gesetz weiterhin weniger zahlen.
Bisher hätten drei Tessiner Industriefirmen aus dem Mendrisiotto den GAV unterzeichnet, der für ungelernte Mitarbeitende weiterhin nur 16 Franken Stundenlohn vorsehe, berichtet Unia-Sekretär Giangiorgio Gargantini: «Damit erhalten rund 700 Beschäftigte weiterhin weniger als 3000 Franken im Monat.»
Industrieverband betont Willen des Volkes
Der gesetzliche Mindestlohn sei für einige Firmen ein harter Schlag, erklärt Daniela Bührig, Vizepräsidentin des Tessiner Industrieverbands. Sie seien nicht zuletzt wegen der Pandemie finanziell in einer schwierigen Lage. Bei diesen Firmen habe der Mindestlohn das Fass zum Überlaufen gebracht. Es seien aber nicht viele.
Bührig betont zugleich, dass alle Firmen den Mindestlohn einführen müssen: «Der gesetzliche Mindestlohn soll nicht mit dem gesetzlichen Schlupfloch eines neuen GAV unterwandert werden.» Denn es gehe hier um den Willen des Stimmvolkes. Der Grossteil der Tessiner Firmen zahle zudem bereits Löhne von weit über 19 Franken.
Vor allem Grenzgängerinnen profitieren
Laut Bührig sollten per 1. Dezember 16'000 Personen in den Genuss des höheren Mindestlohnes kommen – bei insgesamt 230‘000 Arbeitsstellen. Drei Viertel dieser Personen, die profitieren, sind Grenzgängerinnen und Grenzgänger.
Der Mindestlohn soll es für Firmen weniger attraktiv machen, Grenzgänger einzustellen, weil sie mehr zahlen müssen. So sollen die einheimischen Arbeitskräfte geschützt werden. Bührig zweifelt allerdings daran, dass Tessiner Arbeitskräfte die teils mechanische Akkordarbeit der Grenzgängerinnen übernehmen wollen.
Keine Illusionen bei Gewerkschaft Unia
Der Streit um die Einführung des Mindestlohnes im Tessin wirft ein Schlaglicht auf die schwierige Lage des dortigen Arbeitsmarktes. Dieser ist geprägt vom starken Konkurrenzdruck aus dem Grossraum Mailand.
Die Situation sei schweizweit einmalig und auch der neue Mindestlohn werde wenig ändern, bestätigt auch Unia-Gewerkschafter Gargantini: «Wir wussten, dass die Anwendung des Mindestlohns schwierig wird, und dieser ist nicht einmal sehr hoch.»
Der Kampf um höhere Löhne im Tessin geht darum weiter. Linksgrüne Politiker haben dieser Tage bereits eine neue Initiative lanciert – für einen höheren Mindestlohn, der nicht mehr mit einem neuen GAV umgangen werden kann.