Nun ist es Tatsache: Das Bundesgericht hält die gesetzliche Festlegung eines Mindestlohns von 20 Franken im Kanton Neuenburg für zulässig. Die Lausanner Richter haben die Beschwerden gegen die 2011 angenommene Gesetzesänderung abgewiesen.
Der Neuenburger Taxichauffeur Matheus Lolala freut sich über das Urteil: «Das ist ideal für alle. Darauf haben wir lange gewartet. Ich hoffe, dass das jetzt wirklich gilt.» Für ihn sei der Mindestlohn ein gesegnetes Brot.
Der Traum der Gewerkschafter vom Mindestlohn
Nicht nur Taxichauffeur Lolala freut sich über den Mindestlohn. Im Kanton Neuenburg ist heute das Realität geworden, wovon Gewerkschafter in der ganzen Schweiz seit Langem träumen. «Wir hoffen, dass der Entscheid in allen anderen Kantonen erneut einen Impuls gibt, denn in allen Kantonen gibt es Arme», sagt Marianne Ebel von der Bewegung SolidaritéS, welche den Vorstoss einst initiiert hatte.
Doch hat ein Mindestlohn auf nationaler Ebene überhaupt Chancen? Erst 2014 schmetterte das Schweizer Stimmvolk die Initiative für einen nationalen Mindestlohn von 4000 Franken haushoch ab.
Weiterhin geringe Chancen auf nationaler Ebene
Politologe Claude Longchamp sieht deshalb wenig Chancen für ein nationales Revival des Mindestlohnes. Neuenburg sei ein Spezialfall: «Es ist ein Gebiet mit schwacher Wirtschaft, drohender Armut und einem politischen Konsens, der sich darüber einig ist, dass es protektionistische Massnahmen braucht.»
Das Thema Mindestlohn ist denn auch lediglich noch in zwei Kantonen auf dem Tisch: Im Jura und im Tessin wurden per Abstimmung ebenfalls Mindestlöhne beschlossen, die Umsetzung ist allerdings noch hängig.
Wo es dank GAV Mindestlöhne gibt und wo nicht
Dazu kommt: Obwohl es in der Schweiz keinen national verbindlichen Mindestlohn gibt, gelten dennoch für viele Beschäftigte de facto Mindestlöhne – nämlich dann, wenn sie in Gesamtarbeitsverträgen (GAV) zwischen Gewerkschaften und Arbeitgebern ausgehandelt wurden.
Von den rund fünf Millionen Beschäftigten in der Schweiz gilt für rund 1,7 Millionen ein Mindestlohn dank eines GAV. National verbindliche Mindestlöhne gelten unter anderem im Gastgewerbe, in der Bäckerei-Branche, bei der Temporärarbeit und auch bei privaten Sicherheitsdiensten. Keine allgemein verbindlichen Mindestlöhne gibt es beispielsweise im Detailhandel, im Callcenter-Bereich sowie in den Pflegeberufen.
Wenn der Mindestlohn zum Bumerang wird
Taxi-Chauffeur Lolala freut sich in Neuenburg jedenfalls auf die 20 Franken Mindestlohn. Momentan verdient er 10 Franken pro Stunde plus 20 Prozent des Umsatzes.
Skeptischer sieht es sein Chef Patrick Favre: «Das Bundesgericht möchte ‹working poors› reduzieren, bewirkt aber womöglich genau das Gegenteil. Wenn wir diesen Mindestlohn für jede Stunde zahlen müssen, werden wir gewisse Fahrer in die Selbständigkeit entlassen müssen. Und dann haben sie gar keinen Lohn auf sicher.»
Realität oder Angstmacherei? Seit heute jedenfalls gilt der Mindestlohn im Sonderfall Neuenburg.