«Ich habe 13 Jahre lang alles gemacht für diese Bude. Und jetzt dieser Abgang. Das macht mich traurig», sagt eine der drei betroffenen Angestellten des Lebensmittelverarbeiters Gertsch Comestibles in Thun. Ein KMU, das Fleisch und Fisch für Restaurants, Altersheime oder Metzgereien zubereitet.
Die Frau hat die Kündigung erhalten und muss per Ende Januar gehen. Sie sagt, sie wolle nicht um ihren Job kämpfen. Doch es bleibe ein ungutes Gefühl und die offene Frage, ob diese Kündigung rechtlich sauber sei.
Mündlich so – schriftlich anders
Die drei schriftlichen Kündigungen liegen dem SRF-Konsumentenmagazin «Espresso» vor. Darin ist die Rede von «betriebsnotwendigen Umstrukturierungsmassnahmen» als Kündigungsgrund. Dies erstaunt die Betroffenen, denn im persönlichen Gespräch habe ihnen der Chef mitgeteilt, sie würden entlassen, weil sie nicht geimpft seien, berichten sie.
In der Firma gilt seit dem 18. Oktober die Zertifikatspflicht. Die Angestellten müssen also geimpft, genesen oder getestet sein.
«Espresso» unterhält sich am Telefon mit den drei Entlassenen. Sie sagen alle, dass sie mit Testen und Masken kein Problem hätten, aber sie wollten sich lieber (noch) nicht impfen lassen.
Arbeitgeber schweigt
Dass man ihnen im Gespräch sage, man entlasse sie, weil sie sich nicht impfen lassen wollten, dann aber ins Kündigungsschreiben mutmasslich einen Vorwand dafür bringe, können sie nicht nachvollziehen.
Die Firma will zum Thema gegenüber «Espresso» nichts sagen. Zu Interna nehme man nicht in der Öffentlichkeit Stellung.
Rechtsexperte: Zumindest fragwürdig
Für den Arbeitsrechts-Experten Roger Rudolph von der Universität Zürich sind diese Entlassungen in mehrfacher Hinsicht zumindest fragwürdig. Zum einen unter dem Aspekt des Missbrauchsschutzes.
Zwar seien die Kündigungen nicht per se missbräuchlich, sagt er auf Anfrage von «Espresso». Aber wenn eine Arbeitnehmerin oder ein Arbeitnehmer vor Gericht nachweisen könne, dass der eigentliche Grund für die Kündigung ein anderer sei als im Kündigungsschreiben aufgeführt, so wie im vorliegenden Fall: «Dann würde ein Gericht vom Anfangsverdacht ausgehen, dass hier eine missbräuchliche Kündigung vorliegt. Und dann würde sich auch die Rechtsposition eines Mitarbeitenden deutlich verbessern in einem solchen Prozess», sagt Rudolph.
Bis zu sechs Monatslöhne als Entschädigung möglich
Wenn das Gericht tatsächlich zum Schluss komme, dass eine Kündigung missbräuchlich sei, könne das Entschädigungszahlungen zur Folge haben. Dies im Umfang von bis zu sechs Monatslöhnen. Rückgängig machen lasse sich eine Kündigung indes kaum – ausser es komme trotz allem noch zu einer Einigung zwischen Arbeitgeberin und Arbeitnehmer.
Nun kommen im vorliegenden Fall ja noch Corona und 3G-Regeln (geimpft – genesen – getestet) ins Spiel. Dazu gebe es noch keine Rechtsprechung, so Rudolph. Aber wenn das Zertifikat eingeführt werde, mit dem Testen als einer von drei Optionen, und sich eine Mitarbeiterin oder ein Mitarbeiter zwar testen, aber nicht impfen lasse und deswegen die Kündigung erhalte: «Dann ist das zumindest widersprüchlich, und es wäre denkbar, dass eine Kündigung deshalb missbräuchlich wäre.»
Die drei Angestellten des Thuner KMUs haben entschieden, die Kündigungen anzufechten.