Es wird ein historischer Moment: Am nächsten Freitag treffen sich Nordkoreas Machthaber Kim Jong-un und Südkoreas Präsident Moon Jae-in zum Gipfel im Grenzort Panmunjom.
Im scharf bewachten Grenzgebiet zwischen Nord- und Südkorea stehen seit fast 65 Jahren auch Schweizer Soldaten. Es ist der längste Auslandeinsatz der Schweizer Armee.
Mitten im Niemandsland auf der koreanischen Halbinsel steigt Divisionär Patrick Gauchat aus einer schwarzen Limousine mit einem Schweizer Fähnchen auf der Kühlerhaube. Gauchat leitet die Schweizer Mission in Panmunjom.
Der Auftrag: Den Waffenstillstand überwachen
Hier stehen sich die Armeen des kapitalistischen Südens und des kommunistischen Nordens direkt gegenüber – mittendrin fünf Schweizer Offiziere. Ihr Auftrag: Beobachten, ob das Waffenstillstandsabkommen eingehalten wird. Hat man da nicht manchmal Angst?
Nein, sagt Divisionär Gauchat, schliesslich sei alles gut organisiert. Es gebe eine klare Befehlskette. Der 49-Jährige ist bereits zum zweiten Mal in Korea im Einsatz – und hat auch Erfahrung bei Einsätzen in Afrika, im Nahen Osten und in Kosovo gesammelt.
Befehle werden respektiert
Denn: Trotz des Konfliktpotentials zwischen den beiden Korea sieht er hier auch Positives: In bestimmten Missionen – etwa in afrikanischen Ländern – habe man mit Kindersoldaten zu tun, mit verschiedenen Armeen und auch mit Rebellengruppen.
In Korea stünden sich dagegen zwei organisierte Armeen gegenüber. Wenn der Vorgesetzte etwas entscheide, dann würden diese Befehle hier auch respektiert.
Im kleinen Waldstück ist es sehr ruhig, geradezu idyllisch. Fast könnte man vergessen, dass man sich hier mitten im letzten Konflikt des Kalten Krieges befindet.
«Lebst Du noch, geht's Dir gut?»
Im Ausland werde die Situation oft dramatischer wahrgenommen als vor Ort, sagt Major Patrick Andres. Auch er ist bereits zum zweiten Mal in Korea im Einsatz. Es sei schon speziell, wenn in den Medien die Spannungen zwischen den beiden Korea thematisiert würden, sagt er. «Viele Kollegen rufen dann an und fragen, ‹lebst Du noch, geht's Dir gut?›.»
Und doch passiert auch Unvorhergesehenes: Wie etwa die spektakuläre Flucht eines nordkoreanischen Soldaten im November, der von seinen Kollegen sogar beschossen wurde – wenige hundert Meter vom Camp der Schweizer Offiziere entfernt.
Die Flucht sei nicht ohne Folgen geblieben, sagt Divisionär Gauchat: Seit diesem Zwischenfall habe man auf der nordkoreanischen Seite die Soldaten ausgetauscht.
Viel spekulieren will Gauchat aber nicht, er drückt sich vorsichtig aus. So äussern sich die Schweizer Offiziere auch nicht direkt zur Politik auf der koreanischen Halbinsel – sie sind neutrale Beobachter.
Blauhelme oder Militärbeobachter der UNO sind sie dagegen nicht. Denn die UNO war im Koreakrieg nicht neutral, sondern untrstützte als kriegsführende Partei Südkorea und die USA. Und so gehören die Schweizer Offiziere zur Neutralen Überwachungskommission NNSC (Neutral Nations Supervisory Commission in Korea).
Neben den fünf Schweizern, sind auch fünf Offiziere des schwedischen Militärs Teil der Kommission. Von der nordkoreanischen Seite wurden die ehemaligen Ostblockstaaten Polen und die Tschechoslowakei mit der Überwachung des Waffenstillstands betraut.
Seither hat sich vieles verändert: Die Tschechoslowakei brach auseinander und schickte keine Soldaten mehr. Und seit dem Ende des Kalten Krieges Anfang der 1990er Jahre erkennt Nordkorea die neutrale Überwachungskommission nicht mehr an.
Nordkorea will keine Post
Ihre Aufgabe nehmen die Schweizer und Schweden dennoch weiterhin ernst: Einmal wöchentlich treffen sich die Offiziere zu einer Routinesitzung. Auch die nordkoreanische Seite erhält jeweils einen schriftlichen Bericht: Man habe keine Telefonleitung, sondern Ablagefächer – sogenannte Briefkästen – erklärt Divisionär Gauchat. Doch die nordkoreanische Seite gehe nicht mehr zu ihrem Briefkasten.
Sprich: Die Nordkoreaner nehmen die Berichte nicht mehr entgegen. Wenn ihr Briefkasten voll ist, müssen ihn die Schweizer Offiziere selbst leeren. Er hoffe weiterhin, dass die Nordkoreaner in Zukunft wieder zu ihrem Briefkasten fänden, sagt Gauchat.
Auch die Hoffnung auf eine friedliche koreanische Halbinsel will er nicht aufgeben. Ein Waffenstillstand sei nur temporär, Frieden dagegen permanent. Ob das mit einer Wiedervereinigung der beiden Korea geschehen soll oder als zwei separate Staaten, die friedlich nebeneinander lebten, müssten die Koreaner selbst entscheiden.
«Der vergessene Krieg»
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Bild 1 von 8. Der Koreakrieg (1950-1953) wird auch der «vergessene Krieg» genannt. Er zählt zu den grössten Konflikten des 20. Jahrhundert, wird aber selten genannt. Bildquelle: Keystone.
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Bild 2 von 8. Der blutige Konflikt forderte 3,5 Millionen tote Zivilisten, 940'000 tote Soldaten und fünf Millionen Flüchtlinge. Bildquelle: Getty Images.
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Bild 3 von 8. Nach der Kapitulation der japanischen Besatzungsmacht 1945 wurde Korea in zwei Besatzungszonen aufgeteilt. Nördlich des 38. Breitengrades rückten sowjetische Truppen ein, US-Truppen besetzten das Gebiet südlich der Linie. Bildquelle: Getty Images.
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Bild 4 von 8. Am 25. Juni 1950 marschierten 75'000 nordkoreanische Soldaten des kommunistischen Machthabers Kim Il-sung im Süden ein. Bis September 1950 war fast ganz Korea unter nordkoreanischer Kontrolle. Nur der Busan-Perimeter im Südosten konnte nie erobert werden. Bildquelle: Getty Images.
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Bild 5 von 8. Der UNO-Sicherheitsrat verurteilte den Angriff Nordkoreas und autorisierte ein militärisches Eingreifen durch UNO-Truppen. Im September 1950 landeten die Truppen, zumeist Amerikaner, unter Führung von General MacArthur an der Küste. Nach einem Monat überschritten sie den 38. Breitengrad und rückten teilweise bis zur chinesischen Grenze vor. Bildquelle: Keystone.
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Bild 6 von 8. Doch das kommunistische China duldet keine US-Truppen an seiner Grenze. Im Oktober 1950 schickt das Land eine «Freiwilligenarmee» nach Nordkorea. Zusammen mit den nordkoreanischen Truppen rückt diese im Januar 1951 bis in südkoreanisches Gebiet vor. Bildquelle: Getty Images.
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Bild 7 von 8. Im Februar 1951 gehen die UNO-Truppen zum Gegenangriff über und zwingen die nordkoreanisch-chinesischen Truppen zum Rückzug. Im Frühjahr 1951 kommt es zum Stellungskrieg entlang des 38. Breitengrades. Bildquelle: Keystone.
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Bild 8 von 8. Nach zweijährigen Verhandlungen wird am 27. Juli 1953 ein Waffenstillstand geschlossen. Das Abkommen bestätigt im Wesentlichen den 38. Breitengrad als Grenze und legt eine vier Kilometer breite entmilitarisierte Zone fest. Seither ist die koreanische Halbinsel geteilt und die beiden «Bruderstaaten» sind verfeindet. Bildquelle: Getty Images.
- Kriegsgefangene und Calmy-Reys historischer Schritt
Seit dem Ende des Koreakrieges 1953 sind Schweizer Soldaten an der innerkoreanischen Grenze stationiert. Die Schweiz war zunächst in zwei internationalen Kommissionen tätig: Die eine war für die Repatriierung der Kriegsgefangenen nach dem Koreakrieg zuständig.
Zu Beginn der Mission stationierte die Schweiz 146 Soldaten in Korea. Nach Beendigung des Gefangenenaustauschs wurde der Personalbestand wieder massiv reduziert.
Die zweite Kommission – die Neutral Nations Supervisory Commission in Korea (NNSC) – ist bis heute tätig. Sie ist somit die älteste friedensfördernde Mission der Schweizer Armee. Ihre Errichtung gilt als Geburtsstunde der schweizerischen militärischen Friedensförderung.
Auch auf politischer Ebene stand die Schweiz an der innerkoreanischen Grenze schon einmal im Fokus. Als erstes nicht-koreanisches Regierungsmitglied überquerte Bundesrätin Micheline Calmy-Rey 2003 die Demarkationslinie zwischen Nord- und Südkorea und sorgte so für einen historischen Moment.