Eine junge Pfarrerin, die in den sozialen Medien über Masturbation oder ihr Coming-Out spricht: Was sich viele niemals wagen würden, ist für Priscilla Schwendimann kein Tabu. Sie setzt sich für eine junge, offene und digitale Kirche ein.
Vor kurzem lancierte Schwendimann mit einer anderen Pfarrerin den Youtube-Kanal «Holy Shit». In lockerem Ton reden die Frauen darüber, was sie bewegt: Über Homosexualität, ADHS oder Jesus. Und über Vorurteile gegen Christen, dass etwa Selbstbefriedigung verboten sei. Sie richten sich mit den Clips an ein Publikum unter dreissig Jahren. «Das Ziel ist es, den Glauben neu zu vermitteln», sagt Schwendimann. Auch auf Instagram sind die beiden Pfarrerinnen aktiv.
Wie viele andere Institutionen, hat auch die Kirche laut Schwendimann ein Problem, junge Leute zu erreichen. «Wir haben gemerkt, dass unsere Generation grundsätzlich zur Gruppe jener Menschen gehört, die am meisten aus der Kirche austritt», so Schwendimann. Einer der Gründe dafür sei, dass die Kirche grösstenteils über 65-Jährige anspreche: «Da haben wir uns gesagt, dass wir etwas Neues ausprobieren möchten».
Dass sich Schwendimann für eine moderne Kirche einsetzt, hat auch mit ihrer ungewöhnlichen Biografie zu tun. Sie ist in einem freikirchlichen Milieu aufgewachsen, wo Homosexualität nicht ins Weltbild passte. Doch während des Studiums verliebte sich Schwendimann in eine Kommilitonin.
Mit Tränen in den Augen erzählt sie in einem ihrer Videos von ihrem schwierigen Coming-Out. «Es gab Leute, die uns gesagt haben, Homosexuelle sollten gesteinigt werden.» Doch eine Handvoll Freunde unterstützte das Paar. Heute leben die beiden in einer eingetragenen Partnerschaft.
Aus ihrer lesbischen Beziehung macht Schwendimann kein Geheimnis. Ihre Homosexualität sei innerhalb der Kirchengemeinde kein Problem. In der Pfarrschaft sei der Rückhalt riesig. «Ein Thema ist die Homosexualität eher bei den älteren und sehr konservativen Mitgliedern», sagt die Pfarrerin, «aber wenn die Leute mich kennen, ihre Fragen stellen und Ängste benennen können, verschwinden die Sorgen ganz rasch».
Gerade bei jüngeren Menschen sorgt ihr Beruf nicht selten für eine Überraschung. «Waaaaas?», sei eine der häufigsten Reaktionen, erzählt die Pfarrerin und lacht. «Wenn ich privat unterwegs bin, glauben mir sehr viele Leute nicht, dass ich Pfarrerin bin.» Und beispielsweise bei Abdankungen erwarteten viele nicht eine junge Frau als Seelsorgerin. «Grundsätzlich ist das mir entgegengebrachte Interesse und Vertrauen aber sehr gross», bilanziert Schwendimann, «und das ist sehr schön.»
Die Leute erwarten oft nicht eine junge Frau als Pfarrerin.
Ob ihr das grosse Vertrauen auch hilft, viele Menschen zu mobilisieren? 2020 hat Schwendimann während des Shutdowns einen riesigen Online-Gottesdienst mitorganisiert. Und vor kurzem hat sie über Facebook zu einer Beerdigung aufgerufen, zu welcher sonst niemand gekommen wäre.
Zwanzig Personen erwiesen der verstorbenen Frau ohne Nachfahren die letzte Ehre. Viele andere hätten zu Hause eine Kerze angezündet, erzählt Schwendimann. Sie plant nun eine Adressliste für Freiwillige, die für zukünftige einsame Beerdigungen angerufen werden können.