Darum geht es: Im Frühjahr 2022 wurde die Leiche eines Mädchens im Könizbergwald bei Bern entdeckt. Die Achtjährige wurde mit einem Stein erschlagen. Kurz darauf nahm die Polizei die Mutter des Mädchens fest. Obwohl die Mutter stets ihre Unschuld beteuerte, wurde sie im Juni letzten Jahres vom Regionalgericht wegen Mordes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Am Montag hat sich nun das Obergericht mit dem Fall befasst.
Darum ist der Fall aussergewöhnlich: Der Fall hat für viel Aufsehen gesorgt. «Das hat einerseits mit dem Opfer zu tun: Ein Kind, das tot im Wald aufgefunden wird, das bewegt und beschäftigt viele Menschen», so SRF-Regionalredaktor Thomas Pressmann, der den Prozess am Obergericht mitverfolgt hat. Es habe aber auch mit der mutmasslichen Täterin zu tun: «Eine Mutter, die ihr eigenes Kind tötet, bricht ein gesellschaftliches Tabu. Dazu kommt: Dass eine Mutter ein Kind in diesem Alter – also kein Kleinkind mehr ist – tötet, kommt gemäss Fachleuten äusserst selten vor.»
Das sind die Beweise: Direkte Beweise, dass die Mutter ihre Tochter mit einem Stein erschlagen hat, gibt es nicht. Das Regionalgericht stützte sich 2024 auf Indizien. Es gebe genügend solcher Puzzleteile für einen Schuldspruch wegen Mordes, kam es zum Schluss. Ein Puzzleteil war beispielsweise, dass am Stein Blut und Haare des Opfers sowie eine DNA-Kontaktspur der Mutter sichergestellt wurden. Für das Regionalgericht war klar, dass die alleinerziehende Mutter das Mädchen getötet hat, wohl aus Überforderung.
Das sagt die Verteidigung: Die Frau beteuert ihre Unschuld und sieht sich als Justizopfer, wie sie jüngst in einem Krimi-Podcast der deutschen Zeitung «Die Zeit» sagte. Bereits unmittelbar nach der Urteilseröffnung des Regionalgerichts kündigte der Verteidiger den Weiterzug ans Obergericht an. Der Anwalt ist überzeugt: Gericht und Staatsanwaltschaft hätten sich nur auf Indizien gestützt und ein «fragliches Gebilde» konstruiert. Das Urteil sei «unhaltbar».
Der Prozess am Obergericht: Zwei Personen sagten am Montag vor dem Obergericht aus: die Grossmutter des getöteten Mädchens und die Angeklagte. Sie könne die Tat «immer noch nicht begreifen», sagte die Grossmutter unter Tränen. Es sei ein sinnloser Tod. Sie könne sich die Tat nur so erklären: Die Enkelin müsse an jenem Tag jemanden getroffen haben, den sie gekannt habe. Und dann sei sie mit dieser Person in den Wald gegangen. Diese Person müsse böse Absichten gehabt haben.
Die Angeklagte: Die 33-Jährige beteuerte am Montag erneut ihre Unschuld. Die Frau habe insgesamt sehr ruhig und gefasst gewirkt, so SRF-Redaktor Thomas Pressmann. «Sie sprach sehr leise, suchte manchmal nach Worten, und als sie vom Auffinden ihres toten Kindes erzählte, weinte sie.» Das Gericht wies bei der Befragung immer wieder auf Widersprüche in den Aussagen hin.
So geht es nun weiter: Das Urteil des Obergerichts wird am Montag nächste Woche erwartet. Es kann an das Bundesgericht weitergezogen werden.