Die Schweiz ist ein Motorradland. Über vier Millionen Menschen besitzen hierzulande einen Motorrad-Führerschein – und nicht erst seit der Pandemie steigt diese Zahl rasant an. Interessant: Es sind vor allem Frauen, die den Boom rund um das Zweirad mittragen.
Starke Jungs auf schnellen Bikes? Falsch Gedacht!
Der Wind schlägt einem entgegen, der Motor brummt und die Strasse breitet sich schier endlos vor einem aus. «Ich liebe das Gefühl von Freiheit. Das ist für mich der perfekte Ausgleich zum Alltag», sagt Selina Schär, Motorradfahrerin und Mitglied der Motorradcommunities «Girls on Bikes» und «The Riders», als sie auf einem Parkplatz neben ihrer Sportmaschine steht.
Vielen geht es so wie ihr. Bereits im dritten Quartal 2021 wurden alle Rekorde gebrochen, und bis Ende 2021 wurden über 56'000 Motorräder und Roller neu zugelassen. Auch den Führerschein für ein Zweirad holen sich immer wie mehr Leute. So waren es im letzten Jahr laut Bundesamt für Statistik über 25'000 Personen. Interessant: Über 14'000 davon waren Frauen, lediglich rund 11'000 waren Männer.
Grundsätzlich ist es nicht neu, dass Frauen Motorrad fahren. Der Boom der letzten Jahre ist jedoch aussergewöhnlich und hat nachhaltigen Einfluss auf die Szene.
Frauen auf dem Motorrad sind heute eine Selbstverständlichkeit.
Als Initiantin der Motorradcommunities «The Riders» und «Girls on Bikes» kennt sich Anja Tschopp in der Szene aus. Es habe einen Wandel gegeben in den letzten Jahren, sagt sie. «Als wir 2017 mit ‹Girls on Bikes› angefangen haben, war es noch recht speziell, dass eine Frau Motorrad gefahren ist. Heute ist das selbstverständlich. Das motiviert noch mehr Frauen, mit dem Töfffahren zu beginnen. Sie fühlen sich sicher und willkommen.»
So erging es auch Selina Schär, als sie vor einigen Jahren erstmals selbst in den Sattel stieg. «Ich bin gut aufgenommen worden, hatte ein tolles Umfeld. Leider habe ich auch andere Geschichten gehört. Vorurteile gibt es nach wie vor.»
Der Boom: Ein Milliardengeschäft
Das Motorradfahren lebt jedoch nicht nur von der Community, es ist auch ein Geschäft, und zwar ein Milliardengeschäft. Insbesondere Roller wie die italienische Vespa seien bei Frauen extrem beliebt. Sie würden bis zu 40 Prozent der Kundschaft ausmachen, sagt Markus Lehner vom Verband MotoSuisse.
Der Boom der Frauen schlägt sich aber in allen Bereichen nieder. Bei Töffs aller Grössen sowie im Zubehör- und Bekleidungsmarkt. Darauf reagiert auch die Branche.
Peter Hostettler, der grösste Motorradimporteur der Schweiz und mit einer eigenen Bekleidungsmarke seit Jahren in der Branche tätig, sagt: «Vor etwa eineinhalb Jahren haben wir eine Veränderung festgestellt und damit begonnen, gezielt mehr Frauen einzustellen. Denn es kann nicht sein, dass Männer Motorradzubehör für Frauen entwickeln oder versuchen, ihnen das passende Motorrad zu verkaufen.»
Es kann nicht sein, dass Männer Motorradkleider für Frauen entwickeln.
Die Frauen sind also angekommen in der Motorradwelt. Zahlenmässig, in der Szene, als Kundin und im Geschäft. Es gibt jedoch immer noch Luft nach oben. «Ich hoffe, dass Frauen noch mehr akzeptiert werden. Gerade im Rennsport und auf der Strecke. Sodass es nicht mehr heisst, wow! Du fährst eine grosse Maschine, du fährst auf der Rennstrecke», sagt Anja Tschopp. «Aber ich glaube, wir sind da auf einem guten Weg.»