Junge Menschen werden angeworben, um sich in einem System einzukaufen, das allen Beteiligten finanzielle Unabhängigkeit verspricht. Der Name eines Netzwerks, das in der Schweiz sehr aktiv ist: «Retired Young». Laut Website sind 5500 Mitglieder eingeschrieben. Sie zahlen jeden Monat 150 Euro, um dabei zu sein.
Szene-Star aus der Innerschweiz
Für diesen Beitrag erhalten die Mitglieder Zugang zu einer Plattform, die mit Videos zeigt, wie man im Internet Geld verdienen kann. Der Innerschweizer Silas Setteducati ist ein Leader des Netzwerks und zeigt auf der Plattform das Traden.
Der gelernte Lüftungsanlagebauer hat vor sechs Jahren seinen Beruf aufgegeben, um bei der Plattform durchzustarten. Nun will er anderen dabei helfen, dasselbe zu tun. «Ich bin überzeugt, dass es für andere auch einen positiven Impact haben kann», so Setteducati. Dabei kassiert er monatlich mehrere zehntausend Franken.
Viele Aussteiger, wenige Gewinner
Setteducati gewährt dem SRF-Reportageformat rec. einen Einblick in sein umstrittenes Geschäft. Denn was in den glamourösen Werbungen und an den euphorischen Geschäftspräsentationen nicht gesagt wird: Über 90 Prozent der Leute, die sich bei «Retired Young» einschreiben, geben nach spätestens drei Jahren auf. So auch eine junge Frau, die anonym mit uns spricht. Mit der Zeit habe sie gemerkt, dass das Ganze schwieriger sei, als es die Stars von «Retired Young» vorgeben würden.
Neben dem Handeln im Internet gibt es bei solchen Netzwerken einen weiteren Weg, viel Geld zu gewinnen. Mit Multilevel-Marketing kann jeder Geld machen, indem man andere überzeugt, ins pyramidenartige System einzusteigen.
Setteducati weist die Kritik zurück
Obwohl diese Geschäftspraktik in der Kritik steht, ist Silas Setteducati weiterhin überzeugt davon. Die Vorwürfe, er würde falsche Erwartungen wecken oder Versprechungen machen, weist er zurück.
Er ist im Netzwerk zu einer Kultfigur geworden. Diese Dynamik könne durchaus mit einer Sekte verglichen werden, erklärt auf Anfrage die Fachstelle für Sektenfragen Infosekta. Solche Netzwerke seien vor allem dann gefährlich, wenn Menschen emotional und finanziell tief darin verstrickt seien und nicht mehr objektiv denken könnten.
Rechtlicher Graubereich
Trotz dieser Problematiken unternehmen die Behörden relativ wenig gegen solche Netzwerke. Denn erst, wenn ein Multilevel-System in ein Schneeballsystem umkippe, sei die Grenze zur Illegalität überschritten und der Staat könne eingreifen. Das sagt Markus Kaempf, Dozent für Wirtschaftsrecht an der Universität St. Gallen. «Das ist dann erreicht, wenn nicht mehr der Verkauf des Produkts, sondern das Anheuern neuer System-Einzahler im Vordergrund steht.»
Die Justiz agiert nur, wenn vermehrt Beschwerden gegen ein Unternehmen eingereicht werden, schreibt das Staatssekretariat für Wirtschaft auf Anfrage. Und auch nach einer Prüfung seien unerlaubte Tätigkeiten oft schwierig nachzuweisen. Somit ist jeder selbst verantwortlich, sich nicht von grossen Versprechungen solcher Netzwerke blenden zu lassen. Denn auch wenn die wenigsten tatsächlich das grosse Geld machen, ist das Risiko, dass junge Menschen in eine finanzielle und emotionale Abhängigkeit geraten, gross.