In Genf werden fast nur noch neue Infektionen mit Coronavirus-Mutationen registriert. Im Gegensatz zur Warnung der Taskforce des Bundes sorgt sich der Virologe Manuel Schibler am Universitätsspital Genf nicht: Mit den geltenden Vorsichtsmassnahmen könne die Situation unter Kontrolle gehalten werden.
SRF News: Muss man beunruhigt sein über die dominierenden mutierten Virusvarianten in Genf?
Manuel Schibler: Nein. Es ist ein natürlicher Prozess, wenn eine Virusvariante einen Vorteil zu einem Vorgänger entwickelt. Man muss nicht beunruhigt sein, dass sich deren Anteil laufend erhöht wie wir das gerade sehen. Diese Varianten haben zwar einen höheren Ansteckungsgrad, was die Entwicklung der Epidemie potenziell beschleunigen kann. Dennoch ist mit den geltenden Vorsichtsmassnahmen die Situation unter Kontrolle trotz des Überhangs der mutierten Virusvarianten.
Könnte man unter diesen Bedingungen die Massnahmen lockern?
Nein, noch nicht. Man muss weiterhin beachten, dass die Zahl der entdeckten Infektionsfälle pro Tag wichtig bleibt. Wir sprechen von der Zahl der entdeckten Fälle, denn man weiss, dass die Leute sich weniger testen lassen und kennt darum die aktuelle Situation nicht so genau. Das Reservoir für das Virus und seine Zirkulation ist leider im Moment noch zu stark, um Lockerungen vorzunehmen.
Drei Viertel der Covid-19-Fälle in Genf sind bereits Virusmutationen. Haben Sie Angst vor einer dritten Welle?
Persönlich habe ich keine grosse Angst. Es ist schwierig zu sagen, ob es eine dritte Welle geben wird. Das hängt davon ab, wie die Hygienemassnahmen eingehalten werden, damit wir die Situation im Griff halten können trotz des erhöhten Anteils der mutierten Varianten. Wenn wir in dieser Situation bleiben und parallel laufend impfen können, kann man optimistisch sein, dass es keine dritte Welle geben wird.
Persönlich habe ich keine grosse Angst vor einer dritten Welle.
In Genf sieht man, dass trotz des hohen Anteils der Mutationen die Fälle nicht ansteigen. Waren die Befürchtungen und Szenarien der Taskforce des Bundes etwas übertrieben?
Ich denke, es ist ein theoretisches Szenario, das nicht alle Kontrollmassnahmen in der Bevölkerung berücksichtigt, die aktuell bestehen.
Was sind die Gründe, warum die Fallzahlen nicht steigen trotz des steigenden Anteils der mutierten Varianten?
Die aktuell gültigen Vorschriften und Hygienemassnahmen erlauben es, das Virus und seine Varianten zu kontrollieren. Die Massnahmen wie Maskentragen und Distanzhalten wirken auch bei den mutierten Varianten. Diese Mutanten sind bei uns aufgetreten, als die Schutzmassnahmen bereits in Kraft waren und die es uns wahrscheinlich erlaubt haben, eine katastrophale Situation zu vermeiden wie das in andern Länder der Fall war.
In Grossbritannien etwa waren die Massnahmen auch in Kraft, aber dort sind die Fallzahlen mit Varianten stark gestiegen. Worin liegt der Unterschied?
Die Situation dort war sehr unterschiedlich. In Grossbritannien waren die Massnahmen viel schwächer. Die Leute konnten ins Restaurant gehen und sich treffen. Und das ist vermutlich der Grund, warum die erhöhten Fallzahlen so auffallend stiegen.
In Grossbritannien war die Situation sehr unterschiedlich mit sehr schwächeren Massnahmen.
Was können Sie zur Ausbreitung der Mutanten sagen, wie entwickeln sie sich weiter?
Aktuell machen wir sehr viele Sequenzierungen des Virus, um den verschiedenen Varianten auf die Spur zu kommen. Möglicherweise entdeckt man so auch weitere. Dann wird man sehen, ob neue Varianten mit neuen biologischen Eigenschaften auftauchen werden, etwas das durchaus möglich ist.
Das Gespräch führte Michael Maccabez von RTS.