Der neue Bundesanwalt Stefan Blättler zieht nach den ersten 100 Tagen im Amt eine erste Bilanz. Er will kriminelle Organisationen auch in der Schweiz vor Gericht bringen. Und jetzt Beweise sichern, damit russische Kriegsverbrecher auch in der Schweiz verurteilt werden könnten.
SRF News: Sie haben nach Gesprächen mit Ihren Mitarbeitenden entschieden, dass Sie die Bundesanwaltschaft nicht völlig neu aufstellen wollen. Aber gab es nicht mindestens einen Punkt, bei dem Sie gesagt haben, das will ich ändern?
Stefan Blättler: Sie müssen ja diesen Betrieb in einer Welt, die sich immer schneller dreht, so aufstellen, dass Sie den aktuellen Anforderungen entsprechen können. Das kann auch dazu führen, dass Sie vielleicht Mitarbeitende von einem Bereich in den anderen schicken. Weil dort eben mehr Know-how gefragt ist.
Und in welchen Bereich werden Sie mehr Mitarbeitende schicken?
Unter anderem in den Bereich der kriminellen Organisationen. Ich bin überzeugt, dass wir vermehrt auch eigene Verfahren führen müssen. Das bedingt, dass wir die Ressourcen dort besser bündeln.
Seit letztem Jahr können für kriminelle Organisationen höhere Strafen verhängt werden. Wie wollen Sie sicherstellen, dass es zu mehr Anklagen und vor allem auch zu mehr Verurteilungen kommt?
Das beginnt damit, dass wir beginnen. Das heisst, wir müssen das an die Hand nehmen. Es ist keine triviale Aufgabe, den Beweis zu erbringen, dass Sie es mit einer kriminellen Organisation zu tun haben. Und um diese Belege erbringen zu können, sind Sie vielfach darauf angewiesen, im Ausland die nötigen Informationen zu bekommen.
Es ist keine triviale Aufgabe, den Beweis zu erbringen, dass Sie es mit einer kriminellen Organisation zu tun haben.
Vielfach werden ja die kriminellen Organisationen nicht in der Schweiz «gegründet». Also brauchen Sie aus dem betroffenen Land die entsprechenden Hinweise. Das sind die Grundvoraussetzungen, um dann in der Schweiz aktiv werden zu können.
Sie haben gesagt, sie wollen überhaupt erst einmal anfangen. Ist das als Kritik an Ihrem Vorgänger zu verstehen?
Es ist nicht als Kritik zu verstehen, es ist eine Feststellung. Das heisst ja nicht, dass wir es nicht gemacht haben. Die Abteilung, die sich mit kriminellen Organisationen befasst, besteht ja schon seit einiger Zeit. Mir scheint es wichtig, dass diese Abteilung auch so dotiert ist, dass sie Verfahren erfolgreich führen kann.
Sie sind bereits nach Rom und Mailand gereist. Ist das Ihr Ansatz: Mehr internationale Zusammenarbeit, um zu Erfolgen zu kommen?
Selbstverständlich. Man findet praktisch keine Straftaten mehr vor, die nicht irgendeinen Bezug zur digitalen Welt haben. Und digitale Welt heisst global. Das bedingt, dass wir global miteinander im Austausch sind. Und dass wir international eben auch sehr gut zusammenarbeiten.
Sie wollen auch einen Fokus auf Verbrechen gegen die Menschlichkeit legen. Aktuell werden in den Bundesasylzentren die Geflüchteten darauf aufmerksam gemacht, dass Sie Aussagen machen können. Dass es tatsächlich zu Anklagen kommt, ist schwierig. Wo sehen Sie da Ihre Rolle?
Das Strafgesetzbuch verlangt, dass eine Täterschaft in der Schweiz ist, bevor überhaupt ein Verfahren eröffnet werden kann. Das ist zurzeit nicht der Fall. Und da wir die Unverjährbarkeit dieser Delikte kennen, kann das in 20 Jahren oder in 30 Jahren der Fall sein. Wir haben heute die Pflicht, dafür zu sorgen, dass all das, was als vorsorgliche Massnahme getroffen werden kann, jetzt gesichert ist: Beweise, Zeugenaussagen und so weiter. So, dass dannzumal ein Verfahren eröffnet werden kann und auch eine gewisse Aussicht auf eine Verurteilung besteht.
Wovon wollen Sie, wann immer möglich, die Finger lassen? Beispielsweise vom Fussball, von der Fifa?
Ich kann ja nicht auswählen, welche Verfahren die Bundesanwaltschaft zu führen hat. Es ist das Gesetz, das uns diese Aufgaben gibt. Die Bundesanwaltschaft ist beispielsweise für Sprengstoffdelikte schweizweit zuständig. Und jedes Jahr am 1. August und am 31. Dezember werden aus Dummheit «Robidogs» gesprengt. Da macht es ja vermutlich wenig Sinn, wenn sich die Bundesanwaltschaft auch in Zukunft um solche Fälle kümmert.
Ich kann ja nicht auswählen, welche Verfahren die Bundesanwaltschaft zu führen hat.
Ich sage nicht, dass das vernachlässigbare Delikte sind, da können schwere Unfälle daraus entstehen. Aber die Kantone sind aus meiner Sicht viel besser in der Lage, das effizient und sinngerichtet zu erledigen. Solche Delikte sollten nicht mehr in die Kompetenz der Bundesanwaltschaft fallen.
Zum Schluss noch: Ihr Fazit der ersten 100 Tage im Amt?
Ich habe es als sehr spannend und sehr anregend empfunden und ich bin sehr gut empfangen worden. Es macht Spass, weil ich mit motivierten und engagierten Mitarbeitenden arbeiten darf, die sich ihrer Aufgabe wirklich mit Leib und Seele verschrieben haben. Ich bin äusserst optimistisch, dass die Bundesanwaltschaft ihrer komplexen Aufgabe auch in Zukunft nachkommen wird und ich freue mich auf diese Arbeit.
Das Gespräch führte Larissa Rhyn.