Wenn sich jemand von seinem Wohnort abmeldet und im Wald lebt, ist diese Person noch nicht automatisch ein Problemfall. Auffälliges Verhalten alleine genüge nicht, um eine Person einzusperren, sagt Jerôme Endrass vom Amt für Justizvollzug des Kantons Zürich.
Erst wenn eine Person in verschiedenen Lebensbereichen schwer auffällig sei, sei davon auszugehen, dass die Person gefährlich sei. Endrass nennt drei Kriterien: «Wenn jemand sehr konkret droht und gleichzeitig eine schwere psychische Störung und Vorstrafen hat, ist es die Summe dieser Auffälligkeiten in den unterschiedlichen Lebensbereichen, die dazu führt, dass man von einer Gefährlichkeit ausgeht.»
Die Hürden für einen Eingriff sind zurecht sehr hoch.
Weggesperrt ohne Grund
Auch brauche es eine Gefährdungsmeldung, damit die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörden Kesb eingreifen können, sagt der Kindes- und Erwachsenenschutzexperte Christoph Häfeli. Der Jurist und Sozialarbeiter berät verschiedene Kesb. «Die Behörde muss zuerst abklären, ob im Sinne des Gesetzes eine Schwäche und eine Schutz- und Hilfsbedürftigkeit besteht. Erst dann kann sie intervenieren.»
Dass die Behörden heute zurückhaltender seien mit Eingreifen, habe auch mit der Vergangenheit zu tun, sagt Diana Wider. Sie ist Generalsekretärin der Kokes, der Konferenz der verschiedenen kantonalen Kesb. «Die Hürden für einen Eingriff sind zurecht sehr hoch. Wenn jeder Auffällige versorgt werden würde, hätten wir einen Polizeistaat. Das wollen wir nicht.»
Wenn so etwas wie gestern passiert, werden wieder einige Leute sagen: ‹Wie konnte man den nur herumlaufen lassen.› Wenn man es wiederum gemacht hätte, hätten einige Leute gesagt: ‹Wie kann man den nur einsperren.›
Früher war das anders: In den 50er- bis 70er-Jahren genügte auffälliges Verhalten, damit die Behörden eingriffen. Tausende wurden «vorsorglich versorgt» und in Heime gesteckt. Ihre Menschenrechte wurden missachtet. 1981 änderte das Gesetz.
Fehleinschätzungen lassen sich nicht vermeiden
Für die Behörden seien Fälle mit auffälligen Personen manchmal sehr schwierig. Wann ist der richtige Zeitpunkt, um einzugreifen, müsse man sich fragen. Die Behörden dürften nicht zu oft eingreifen, weil gewisse Personen gar nicht wirklich gefährlich seien.
Häufig fehlten im Vorfeld auch die Informationen über eine Person. Erst wenn etwas passiert, merke man, dass jemand tatsächlich gefährlich ist. Christoph Häfeli sagt, die Öffentlichkeit verkenne oft, wie schwierig die Entscheidung sei: «Wenn sowas passiert wie gestern werden wieder einige Leute sagten: ‹Wie konnte man den nur herumlaufen lassen.› Wenn man es wiederum gemacht hätte, hätten einige Leute gesagt: ‹Wie kann man den nur einsperren.› Wenn der im Wald leben will, soll er es doch tun.»
Heute seien die Behörden professioneller und aus verschiedenen Berufsgruppen zusammengesetzt. Dennoch sei es praktisch unmöglich, jeden Fall im Voraus richtig einzuschätzen. Fehleinschätzungen lassen sich laut Häfeli nie ganz vermeiden.