Am Mittwoch könnten die meisten Massnahmen zur Eindämmung des Coronavirus aufgehoben werden. Dazu gehört beispielsweise das Maskentragen im öffentlichen Verkehr. Gesundheitspsychologin Jennifer Inauen erklärt, wie schnell wir unsere Gewohnheiten ändern können.
SRF News: Wie lange dauert es, bis wir uns wieder an viele Menschen gewöhnt haben, die ohne Abstand und Maske zusammenkommen – und uns dabei auch wieder wohlfühlen?
Jennifer Inauen: Man fühlt sich komisch, wenn man eine Gewohnheit entwickelt hat und dann plötzlich etwas nicht mehr macht. Da braucht es eine Anpassungsleistung. Wie lange es dauern wird, bis wir diese Gewohnheit wieder ändern, weiss man nicht so genau. Das wird im Moment noch erforscht. Um eine neue Gewohnheit aufzubauen, dauert es im Durchschnitt 66 Tage. Ich würde sagen, es dauert auf jeden Fall weniger lange.
Ist es einfacher, wieder in eine alte Gewohnheit zurückzufallen?
Die neuropsychologische Forschung zeigt, dass man bestehende Gewohnheiten nie komplett abbauen kann. Das hat negative Konsequenzen, wenn man zum Beispiel ans Rauchen denkt. Aber in diesem Fall kann es sein, dass wir leichter in den Alltag ohne Corona zurückkehren können.
Wieso braucht es so lange, um eine Gewohnheit zu etablieren oder zu verändern? Was passiert da im Hirn?
Es ist so, dass wir im Hirn Verbindungen zwischen einer bestimmten Situation und einem bestimmten Verhalten, das wir in dieser Situation ausüben, schaffen. Und je häufiger wir das machen, desto stärker wird diese Verbindung zwischen der Situation und dem Verhalten, bis es dann fast automatisch zu diesem Verhalten in dieser Situation kommt. Dann sprechen wir von Gewohnheit.
Es kommt sehr darauf an, was für Erfahrungen die Menschen mit diesen neuen Gewohnheiten und Verhaltensmustern gemacht haben.
Viele Leute haben auch ihre Alltagsgewohnheiten wegen Corona geändert. Sie haben beispielsweise Hobbys nicht mehr ausgeübt. Werden sie ihre Gewohnheiten wieder ändern?
Es kommt sehr darauf an, was für Erfahrungen die Menschen mit diesen neuen Gewohnheiten und Verhaltensmustern gemacht haben. Ich gehe davon aus, dass es zwei Lager geben wird. Es wird Personen geben, die es kaum erwarten können, wieder ins Theater zu gehen, während andere gemerkt haben, dass sie sich zu Hause auch gut beschäftigen können. Deswegen ist es unterschiedlich, was wir da erwarten.
Das Hirn hat generell nicht gerne Veränderungen. Kann diese Umgewöhnung – auch wenn sie für uns positiv ist – Stress für das Gehirn auslösen?
Ja, es kann vielleicht Stress sein. Es ist ungewohnt und komisch und von daher braucht es einfach eine gewisse Zeit, bis wir uns wieder vollständig mit der neuen Gewohnheit identifizieren.
Gibt es auch Gewohnheiten, die nach Corona bleiben dürften?
Ich interessiere mich stark für das Gesundheitsverhalten, zum Beispiel wie sich Personen ernähren und ob sie Sport machen. Und da haben wir in der Forschung Daten gesichtet, bei denen wir sehen, dass einige Personen ein neues Hobby angefangen haben. Sie machen vielleicht jetzt zu Hause Sport, während sie vorher eher wenig Sport gemacht haben. Ich kann mir gut vorstellen, dass diese Gewohnheiten auch Bestand haben werden. Das ist eine mögliche positive Konsequenz der Pandemie.
Die einen können es fast nicht erwarten, sich wieder umarmen und einander zum Gruss die Hand schütteln zu können. Andere waren vielleicht froh, dass man sich in sozialen Situationen nicht so nahekommen musste.
Zum Beispiel Händeschütteln waren wir uns sehr gewohnt, vorher. Nun haben wir es nicht mehr gemacht. Was denken Sie diesbezüglich?
Da bin ich wirklich gespannt. Die einen können es fast nicht erwarten, sich wieder umarmen und einander zum Gruss die Hand schütteln zu können. Andere waren vielleicht froh, dass man sich in sozialen Situationen nicht so nahekommen musste.
Das Gespräch führte Corina Heinzmann.