Wer das Ringen um die Schweizer Beziehungen zur EU in den letzten Jahren aufmerksam verfolgt hat, den kann der heutige Rückschlag in den innenpolitischen Sondierungsgesprächen über ein Rahmenabkommen nicht wirklich erstaunen.
Die EU kritisiert seit Jahren die flankierenden Massnahmen der Schweiz zum Schutz unserer Löhne als diskriminierend. Das Rahmenabkommen mit unserem Land fordert Brüssel denn auch in erster Linie, um diese Massnahmen wegzubekommen oder zumindest massiv zu schwächen.
Eklat bevor Gespräche richtig begonnen haben
Dass die schweizerischen Gewerkschaften da nicht mitmachen können, hat von Anfang an auf der Hand gelegen. Den hiesigen Arbeitnehmervertreterinnen und -vertretern ist mehr als bewusst, welche Zustände im EU-Raum herrschen: Ein bulgarischer LKW-Chauffeur verdiene im Durchschnitt 215 Euro im Monat. Dafür müsse er 11,5 Stunden pro Tag oder 57,5 Stunden in der Woche arbeiten, haben die Gewerkschafter heute vor den Medien vorgerechnet.
Jedes Nachgeben beim Lohnschutz gegenüber der EU ist für sie deshalb ein No-Go. Überraschend ist eigentlich einzig, dass es bereits zum Eklat gekommen ist, bevor die Gespräche richtig begonnen haben.
Kein Zurück für Gewerkschaften
Wenn Wirtschaftsminister Johann Schneider-Ammann jetzt nicht gleich den Bettel hinwerfen und die Sondierungen weiterführen möchte, dann ehrt ihn das zwar. Doch realistischerweise müsste er feststellen: Das Rahmenabkommen mit der EU ist mit dem heutigen Tag mausetot. Die Gewerkschaften haben sich mit dermassen deutlichen Worten aus den Gesprächen verabschiedet, dass eine Rückkehr ohne totalen Gesichtsverlust nicht mehr möglich ist.
Kommt dazu, dass ein Abkommen am Schluss in einer Volksabstimmung Bestand haben müsste. Dass die Schweizer Bevölkerung einem Vertrag zustimmt, der unter solch widrigen Umständen entsteht, kann praktisch ausgeschlossen werden.
Ohne Support der Gewerkschaften ist innenpolitisch kein Rahmenabkommen durchzubringen, umso mehr, als sich auch die SVP als grösste Partei des Landes grundsätzlich dagegen stellt. Aus ganz anderen Gründen: Sie stört sich daran, dass die EU deutlich mehr Einfluss auf die Schweizer Innenpolitik verlangt.
Bundesrat müsste Übung abbrechen
Konsequenterweise müsste der Bundesrat jetzt also die Übung abbrechen und Brüssel mitteilen, dass kein Rahmenabkommen zustande kommt. Möglich, dass die EU dann Retorsionsmassnahmen gegen die Schweiz ergreift. Oder weitere schmerzhafte Nadelstiche setzt, wie wir das bei der Anerkennung der Schweizer Börse bloss auf Zusehen hin bereits erlebt haben. Vielleicht aber geschieht auch rein gar nichts.
Eines lässt sich allerdings am heutigen Tag mit Sicherheit sagen: An einem lang andauernden Fehdezustand zwischen der EU und der Schweiz haben beide Seiten, die wirtschaftlich engstens miteinander verflochten sind, null Interesse.