Bisher galt bei Scheidung oder Trennung die Regel: Bis das jüngste Kind 10 Jahre alt ist, muss der hauptbetreuende Elternteil nicht arbeiten. Neu orientiert sich das Bundesgericht an den Schulstufen. Eine Mutter oder ein Vater, der die Kinder hauptsächlich betreut, muss ab der Einschulung des jüngsten Kindes 50 Prozent arbeiten, ab dem Übertritt in die Sekundarstufe dieses Kindes dann 80 Prozent.
Das Bundesgericht setzt ein starkes Signal. Erwerbskontinuität wird erwartet von Männern – und Frauen.
Wie heute bleibt: Wenn das jüngste Kind die Schule abgeschlossen hat, muss grundsätzlich 100 Prozent gearbeitet werden. Ein wichtiges Urteil für Markus Theunert, Geschäftsleitungsmitglied von maenner.ch, dem Dachverband der Schweizer Männer- und Väterorganisationen: «Das Bundesgericht setzt ein starkes Signal. Erwerbskontinuität wird erwartet von Männern – und Frauen.»
Es sei für eine Frau heute keine Option mehr, ihre Erwerbsarbeit einzustellen und sich ganz auf die Mutterrolle zu konzentrieren, so Theunert. Nach sechs Jahren werde erwartet, dass sie wieder einer Erwerbsarbeit nachgehe.
Das alte Modell führte dazu, dass der Karriereschaden den Müttern angelastet wurde.
Aber nicht nur für die Männerverbände ist dieses Urteil wichtig – auch für die Frauen sei es wichtig, sagt die Berner Anwältin und Spezialistin für Familienrecht, Anna Murphy: «Das alte Modell führte dazu, dass der Karriereschaden, der mit persönlicher Kinderbetreuung verbunden ist, den Müttern angelastet wurde. Mütter blieben zehn Jahre zuhause und konnten im gelernten Beruf nicht mehr arbeiten.»
Urteil widerspiegelt gesellschaftlichen Wandel
Da gab es aber bereits einen Wandel: Frauen sind berufstätig, in den Städten ohnehin und auch auf dem Land immer mehr. Das Urteil widerspiegle diesen gesellschaftlichen Wandel. Und es schaffe auch Rechtssicherheit. Seit der Einführung des neuen Unterhaltsrechts verabschiedeten sich die Kantonsgerichte bereits vom alten Modell – es fehlte aber eine Rechtsprechung des Bundesgerichts.
Für Anwältin Anna Murphy wird der Druck auf die Frauen damit nicht übermässig erhöht: «Selbst wenn man sehr abgelegen wohnt: In die Schule müssen die Kinder ohnehin. Und spätestens dann hat man die Möglichkeit zu arbeiten, selbst wenn es in der Gegend keine Fremdbetreuungsangebote gibt.»
Kosten werden gerechter aufgeteilt
Dieses Leiturteil bedeutet also: Die Kosten werden gerechter aufgeteilt unter Müttern und Vätern, auch weiterhin wird aber jeder Einzelfall geprüft. Und das Bundesgericht geht sogar noch weiter: Wenn das Geld knapp ist, dann müssen die Gerichte künftig prüfen, ob schon eine Erwerbsarbeit im Vorschul-Alter der Kinder sinnvoll sein kann. Auch das dürfte noch zu diskutieren geben unter den Richtern in den Kantonen.