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Hochwasser: Wie viel Schutz will und kann man sich leisten?
Aus 10 vor 10 vom 14.08.2024.
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Nach Unwetter in Brienz BE Schutzbauten verhindern Schlimmeres – doch reicht das?

Misox, Saas-Grund, Maggiatal – jetzt Brienz. Sind wir ausreichend geschützt? Ein Hydrologe sieht Verbesserungspotenzial.

Schlammmassen im Dorf, mitgerissene Häuser, Tote. Menschen, die ihr Hab und Gut zu schützen versuchen und einander helfen. «Wir probieren dem Herr und Meister zu werden. Aber das war unmöglich. Dann mussten wir kapitulieren, weil das Wasser in die Keller lief – von allen Seiten. Wir mussten flüchten», sagt ein Anwohner.

Nein, diese Geschehnisse in Brienz BE passierten zum Glück nicht vor wenigen Tagen, sondern vor rund 20 Jahren, als die Schweiz während des Jahrhunderthochwassers von 2005 im Ausnahmezustand war – und die Wassermassen vom Himmel auch Brienz stark in Mitleidenschaft gezogen hatte.

Seither ist einiges gegangen, sagt Gemeinderatspräsident Peter Zumbrunn, der bereits die Geschehnisse 2005 als Vizepräsident miterlebte. Mit Millionen-Hilfen von Bund und Kanton ergriff die Gemeinde umfangreiche Massnahmen, die am Montag ganz Schlimmes verhindert hätten. So verbreiterte man Bachbette, richtete am Berg Geschiebesammler ein und verbesserte Warnsysteme und Katastrophenszenarien.

Die Massnahmen hätten genützt. Der Geschiebesammler am Milibach habe eine grosse Menge an Geschiebe zurückgehalten, sagt Zumbrunn. «Es wäre nicht auszudenken gewesen, wenn das auch noch heruntergekommen wäre.»

Dem stimmt auch Markus Wyss zu. Er ist diplomierter Bauingenieur und für das Tiefbauamt des Kantons Bern für das Oberland zuständig. «Man mag sich gar nicht vorstellen, was passiert wäre, wenn das Projekt nicht realisiert worden wäre. Denn der neue Geschiebesammler hat sehr viel Geröll zurückgehalten», sagt Wyss gegenüber den Tamedia-Zeitungen.

Das ist am Montagabend in Brienz passiert

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Legende: Brienz, Bild vom 13.08.2024 KEYSTONE/Adrian Reusser

Starke Regenfälle in und oberhalb von Brienz haben am Montagabend den Milibach (oder Mühlebach) im Dorf über die Ufer treten lassen und mit Gesteinsbrocken, Holz und Schlamm überzogen. Zwei Personen wurden mittelschwer verletzt. 70 Menschen wurden evakuiert. Gebäude, parkierte Fahrzeuge, Infrastruktur des öffentlichen Verkehrs wurden stark beschädigt. Die Berner Gebäudeversicherung GVB rechnet mit Unwetterschäden von 25 bis 30 Millionen Franken.

Unwettermeldungen gab es in anderen Teilen der Schweiz: So wehten Sturmböen Bäume um oder Starkregen füllte Keller. Im Kanton Luzern gingen bei der Polizei 50 Notrufe ein, unter anderem wegen umgestürzten Bäumen oder Wasser in Gebäuden. Des Weiteren wurde die Axenstrasse im Kanton Uri nach einem Felssturz zwischenzeitlich gesperrt.

Zurück zu 2005: Dort war es nicht wie am Montag der Milibach (oder Mühlebach), sondern der einige hundert Meter östlich gelegene Glyssibach, der über die Ufer trat. Dieser wurde nach der Katastrophe stärker mit Schutzmassnahmen ausgestattet als der vor zwei Tagen über die Ufer getretene Milibach.

Am Glyssibach wurde ein Ausleitbauwerk errichtet, wodurch die grossen Murgangsmengen in unbewohntes Gebiet abgeleitet und dort mittels eines Auffangdamms abgelagert werden. Zudem wurde der Bachlauf verbreitert, damit die Wasser- und Schlammmassen besser ablaufen können, wie Davood Farshi, Professor für Hydraulik und Wasserbau an der Ostschweizer Fachhochschule, sagt. Er arbeitet als Leiter für verschiedene Hochwasser- und Murgangsschutzprojekte mit, ähnlich wie am Glyssibach.

Waren Schutzmassnahmen am Milibach ausreichend?

Für Markus Wyss vom Berner Tiefbauamt ist es im Moment verfrüht, zu fragen, ob das Schutzprojekt am Milibach richtig konzipiert wurde. Er sagt, dass man bei der Konzipierung eines solchen Schutzprojekts von einem Jahrhundertereignis – Gemeindepräsident Zumbrunn spricht aktuell von «mehr als einem Jahrhundertereignis» – ausgehe, bei dem die Schutzmassnahmen noch standhalten müssten.

Brienzer Niederschläge von 2005 und jüngst im Vergleich

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In Brienz ist innerhalb von einer Stunde etwa ein Drittel der üblichen Monatsmenge an Regen gefallen, nämlich 42 Millimeter. Dies alleine sei aber nicht ausschlaggebend gewesen, sagt Felix Blumer von SRF Meteo. Die Auswertung von Radardaten habe ergeben, dass an den Berghängen oberhalb von Brienz rund 100 Millimeter Regen gefallen sein müsse.

Laut Meteo Schweiz prasselte 2005 genau 181 Millimeter Regen nieder, das allerdings innerhalb zweier Tagen. Es sei eine ganz andere Wetterlage gewesen, heisst es, weshalb die zwei Ereignisse schwierig zu vergleichen seien.

Müsste in der Schweiz mehr in Schutzmassnahmen investiert werden? Andreas Zischg, Hydrologe und Leiter einer Forschungsinitiative für Naturrisiken an der Universität Bern, sagt: «Für jetzigen Moment sieht man schon: In diesem Sommer hat es viele Schutzbauten überlastet. Das wird in Zukunft vielleicht häufiger werden. Wenn die Prognosen vom Klimawandel so zutreffen, erwarten wir wirklich mehr Niederschläge.»

Zudem sei das Schutzziel für das heutige Klima ausgelegt. «Wenn das Klima sich ändert, wird auch irgendwann das Schutzziel ändern müssen.» Das müsse gesellschaftlich noch diskutiert werden und der Ausbaustandard der Schutzbauten vielleicht höher werden müssen.

Evakuierte müssen sich in Geduld üben

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Nach dem verheerenden Unwetter vom Montagabend sind in Brienz BE die Aufräumarbeiten in vollem Gang. Von den 70 Evakuierten werden sich manche in Geduld üben müssen. Eine rasche Rückkehr in die teilweise stark zerstörten Häuser zeichnet sich nicht ab. Die Solidarität im Dorf sei gross und für alle Betroffenen habe man eine private Unterkunft gefunden, sagte Gemeinderatspräsident Peter Zumbrunn am Mittwochnachmittag vor den Medien in Brienz. Er dankte allen, die spontan Wohnungen oder Ferienwohnungen zur Verfügung gestellt haben.

Mitarbeit: Andrea Thurnherr

Tagesschau, 13.08.2024, 19:30 Uhr;fulu

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