Schlammmassen im Dorf, mitgerissene Häuser, Tote. Menschen, die ihr Hab und Gut zu schützen versuchen und einander helfen. «Wir probieren dem Herr und Meister zu werden. Aber das war unmöglich. Dann mussten wir kapitulieren, weil das Wasser in die Keller lief – von allen Seiten. Wir mussten flüchten», sagt ein Anwohner.
Nein, diese Geschehnisse in Brienz BE passierten zum Glück nicht vor wenigen Tagen, sondern vor rund 20 Jahren, als die Schweiz während des Jahrhunderthochwassers von 2005 im Ausnahmezustand war – und die Wassermassen vom Himmel auch Brienz stark in Mitleidenschaft gezogen hatte.
Seither ist einiges gegangen, sagt Gemeinderatspräsident Peter Zumbrunn, der bereits die Geschehnisse 2005 als Vizepräsident miterlebte. Mit Millionen-Hilfen von Bund und Kanton ergriff die Gemeinde umfangreiche Massnahmen, die am Montag ganz Schlimmes verhindert hätten. So verbreiterte man Bachbette, richtete am Berg Geschiebesammler ein und verbesserte Warnsysteme und Katastrophenszenarien.
Die Massnahmen hätten genützt. Der Geschiebesammler am Milibach habe eine grosse Menge an Geschiebe zurückgehalten, sagt Zumbrunn. «Es wäre nicht auszudenken gewesen, wenn das auch noch heruntergekommen wäre.»
Dem stimmt auch Markus Wyss zu. Er ist diplomierter Bauingenieur und für das Tiefbauamt des Kantons Bern für das Oberland zuständig. «Man mag sich gar nicht vorstellen, was passiert wäre, wenn das Projekt nicht realisiert worden wäre. Denn der neue Geschiebesammler hat sehr viel Geröll zurückgehalten», sagt Wyss gegenüber den Tamedia-Zeitungen.
Zurück zu 2005: Dort war es nicht wie am Montag der Milibach (oder Mühlebach), sondern der einige hundert Meter östlich gelegene Glyssibach, der über die Ufer trat. Dieser wurde nach der Katastrophe stärker mit Schutzmassnahmen ausgestattet als der vor zwei Tagen über die Ufer getretene Milibach.
Am Glyssibach wurde ein Ausleitbauwerk errichtet, wodurch die grossen Murgangsmengen in unbewohntes Gebiet abgeleitet und dort mittels eines Auffangdamms abgelagert werden. Zudem wurde der Bachlauf verbreitert, damit die Wasser- und Schlammmassen besser ablaufen können, wie Davood Farshi, Professor für Hydraulik und Wasserbau an der Ostschweizer Fachhochschule, sagt. Er arbeitet als Leiter für verschiedene Hochwasser- und Murgangsschutzprojekte mit, ähnlich wie am Glyssibach.
Waren Schutzmassnahmen am Milibach ausreichend?
Für Markus Wyss vom Berner Tiefbauamt ist es im Moment verfrüht, zu fragen, ob das Schutzprojekt am Milibach richtig konzipiert wurde. Er sagt, dass man bei der Konzipierung eines solchen Schutzprojekts von einem Jahrhundertereignis – Gemeindepräsident Zumbrunn spricht aktuell von «mehr als einem Jahrhundertereignis» – ausgehe, bei dem die Schutzmassnahmen noch standhalten müssten.
Müsste in der Schweiz mehr in Schutzmassnahmen investiert werden? Andreas Zischg, Hydrologe und Leiter einer Forschungsinitiative für Naturrisiken an der Universität Bern, sagt: «Für jetzigen Moment sieht man schon: In diesem Sommer hat es viele Schutzbauten überlastet. Das wird in Zukunft vielleicht häufiger werden. Wenn die Prognosen vom Klimawandel so zutreffen, erwarten wir wirklich mehr Niederschläge.»
Zudem sei das Schutzziel für das heutige Klima ausgelegt. «Wenn das Klima sich ändert, wird auch irgendwann das Schutzziel ändern müssen.» Das müsse gesellschaftlich noch diskutiert werden und der Ausbaustandard der Schutzbauten vielleicht höher werden müssen.
Mitarbeit: Andrea Thurnherr