Verschlimmert die Nahrungsmittelspekulation Hunger und Armut in der Welt, wie Kritiker monieren? In der laufenden Sommersession hat der Ständerat die Initiative der Jungsozialisten (Juso) «Keine Spekulation mit Nahrungsmitteln» behandelt. Die Initiative will Finanzinstituten, Effektenhändlern, Versicherungen und institutionellen Anlegern verbieten, in Finanzinstrumente zu investieren, die sich auf Agrarrohstoffe und Nahrungsmittel beziehen.
Die Nahrungsmittelspekulation war auch Thema bei der Debatte über das Finanzmarktinfrastrukturgesetz (FinfraG). Der Bundesrat darf nun bestimmen, wie viele Warenderivate ein einzelner Marktakteur halten darf. Darunter fallen auch Derivate mit Nahrungsmitteln.
Hintergrund der Debatten sind die starken Preisschwankungen von Mais, Reis oder Weizen über die letzten Jahre. Sie bringen Entwicklungsländer immer wieder in Notlage. Doch was darf von Regulierungen oder einem Verbot der Nahrungsmittelspekulation überhaupt erwartet werden?
Verursachen Spekulationen hohe Lebensmittelpreise?
Nein. Das Niveau von Lebensmittelpreisen ist laut Reto Föllmi, Ökonom an der Universität St.Gallen, unabhängig von Spekulationen. Im Gegenteil: «Kostensteigernde Regulierungen erhöhen das allgemeine Preisniveau, da der höhere Aufwand auf die Preise überwälzt wird».
Verursachen Spekulationen Preisschwankungen?
Dies sei eine Möglichkeit, allerdings «können die Preise auch stabiler werden, weil der Markt liquider wird», so Föllmi. Die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (Deza) schreibt im «Grundlagenbericht Rohstoffe», dass «keine überzeugende empirische Evidenz für einen nachhaltigen Einfluss von Finanzinvestoren auf die Rohstoffpreise» bestehe.
Warum kommt es zu Preisschwankungen?
Laut Reto Föllmi lässt sich der Markt mit Nahrungsmitteln mit jenem von Rohstoffen generell vergleichen: Es seien Güter, bei denen die Nachfrage kurzfristig kaum auf Veränderungen im Preis reagierten. Die Nachfrage bleibe in etwa gleich, unabhängig davon, wie viel oder wenig Rohstoffe vorhanden oder wie teuer diese seien. Die Preisschwankungen würden demnach hauptsächlich durch Angebotsschocks ausgelöst – etwa durch Wetterschwankungen oder durch politische Instabilität.
Können höhere Lagerkapazitäten als Puffer gegen Preisschwankungen dienen?
Die Organisation Erkärung von Bern (EvB) fokussiert sich laut NZZ – im Gegensatz zur Juso – auf die reale Verfügbarkeit von Nahrungsmitteln, also auf den physischen Markt. Mit der Kontrolle von Produktions- und Lagerkapazitäten können laut Oliver Classen von der EvB mehr Möglichkeiten zur künstlichen Angebotsverknappung und anderen relevanten Preismechanismen erreicht werden.
«Höhere Lagerbestände können als Puffer gegen kurzfristige Preisveränderungen wirken», sagt Reto Föllmi. Gleichzeitig sei Lagerung nicht gratis. Nahrungsmittel können so also auch teurer werden.
Welche weiteren Faktoren beeinflussen Nahrungsmittelpreise?
«Die Hauptgründe der hohen Preise sind temporär», schreibt die britische Wochenzeitschrift «The Economist»: Zum plötzlichen Preisanstieg gewisser Nahrungsmittel im Jahr 2011 hätten Dürren in Russland und Argentinien, Überschwemmungen in Kanada und Pakistan, Exportverbote durch Länder, die die heimische Versorgung garantieren wollten, sowie Panikkäufe durch Importeure geführt.
Den Preisanstieg mit verursacht habe der schwache Dollar, der die Erneuerung von Vorräten verbilligt habe. Hinzu kommen tiefere Ölpreise, die die Inputkosten verringert hätten.
In Zukunft würden aber auch strukturelle, globale Veränderungen wie das Bevölkerungswachstum, die «Explosion der Megacitys in Entwicklungsländern» und sich verändernde Essgewohnheiten immer wichtiger, schreibt der «Economist». «Den Preissteigerungen wird aber der Produktivitätsanstieg in der Landwirtschaft in Zukunft entgegenwirken», fügt Reto Föllmi jedoch an.
Fasst man die Argumente zusammen, scheint klar: Mit Regulierungen oder Verboten der Spekulation kann deren Ziel – die Verringerung von Hunger und Armut – nicht erreicht werden.