Als Botschafterin in Paris hat Livia Leu das politische Innere Frankreichs kennen und verstehen gelernt. Das Land, das sich besonders für eine starke EU ausspricht. Und als erst zweite Frau, die im Iran eine Botschaft leitete, war sie ganz nahe dran an einem der grössten internationalen Konflikte.
Eine Frau, die beim Austausch von Gefangenen im Iran dabei war, eine solche Frau kann auch den Knoten beim Rahmenabkommen lösen. Das war die Botschaft von Aussenminister Cassis. Eine Botschaft, die sich weniger nach Brüssel, sondern an die politischen Parteien hier in der Schweiz richtet.
Balzarettis Imageproblem
Seit Vertreter der SP und der CVP das Rahmenabkommen fundamental kritisierten, und ähnlich wie die SVP einen Souveränitätsverlust für die Schweiz beklagen, ist nicht mehr klar, wie dieses Abkommen überhaupt noch gerettet werden kann. Jetzt braucht es nicht nur Verhandlungsgeschick, sondern auch Psychologie. Und mit Livia Leu scheint der Bundesrat vor allem auf einen psychologischen Effekt zu setzen.
Ihr Vorgänger Roberto Balzaretti hatte zunehmend ein Glaubwürdigkeitsproblem. Obwohl ihm die meisten attestieren, dass er für die Schweiz eigentlich viel rausgeholt hat. Doch viele nahmen ihm übel, dass er beim Lohnschutz bereit war, Abstriche in Kauf zu nehmen. Mit diesem Image des kompromissbereiten Verhandlers hatte er einen schweren Stand. Livia Leu hingegen kann den ausgehandelten Vertragstext unbelastet übernehmen. Aber ob es ihr wirklich gelingen wird, mehr als ihr Vorgänger rauszuholen?
Kernproblem dürfte bleiben
Das viel kritisierte Souveränitätsproblem im Abkommen dürfte bestehen bleiben. Es ist zum heutigen Zeitpunkt fast nicht vorstellbar, dass die Schweiz die Rolle des Europäischen Gerichtshofs oder die dynamische Rechtsübernahme aus dem Vertragstext «weg verhandeln» kann. Das ist der Kern des Rahmenvertrags, hier wird sich die EU kaum kompromissbereit zeigen.
Viel eher wird Livia Leu die drei «alten» Probleme lösen: Die EU soll den Lohnschutz auf dem heutigen Niveau garantieren. Kantonalbanken sollen keine Probleme wegen des Verbots staatlicher Beihilfen kriegen. Und es soll explizit festgehalten werden, dass die Schweiz die Unionsbürgerrichtlinie nicht übernehmen muss und damit eine mögliche «Einwanderung» in die Sozialhilfe verhindert wird. Verschiedene EU-Exponenten signalisierten in den letzten Tagen ein grosses Entgegenkommen in diesen Punkten.
Kann Leu den Vertrag retten?
Wahrscheinlich werden die Verhandlungserfolge von Livia Leu grösser wirken, als wenn ihr Vorgänger Balzaretti ähnliches erreicht hätte. Weil sie eben nicht den Ruf der Kompromissbereiten hat. Und vielleicht werden sich dann SP und CVP doch noch hinter das Abkommen stellen, so die Hoffnung der EU-freundlichen Parlamentarier im Bundeshaus.
Mit viel Psychologie und dank einer neuen Chefunterhändlerin findet dieser Rahmenvertrag am Schluss vielleicht doch noch eine Mehrheit im Parlament.