«Das Zugsteam der SOB begrüsst sie im Treno Gottardo …» Pause. «… nach Bellinzona.» Die Durchsage klingt noch etwas unsicher, die müssen sie noch üben bei der Südostbahn. Verständlich: Es ist ja auch der erste Passagierzug seit vier Jahren, der ab Zürich Hauptbahnhof durch den alten Gotthardtunnel direkt ins Tessin fährt. Losgerollt ist er am Sonntag, 13. Dezember, um sechs Uhr morgens.
Der Zug ist gefüllt mit einer Mischung aus Schneesportlern und Bähnlern. Erstere fahren für Skitouren bis nach Göschenen, um die Urner Berge hochzufellen und Kurven in den frischen Schnee zu ziehen. Zweitere sind wegen des Zugs da. «Ich habe einen Spleen und wollte unbedingt auf den ersten Zug», sagt etwa ein Mann aus Frick im Kanton Aargau.
Auf Quersubventionen angewiesen
Es ist der erste Zug von vielen, die von nun an wieder direkt ab Zürich und Basel die Gotthard-Region via alter Bergstrecke passieren. Angeboten werden sie neu von der Südostbahn SOB, die damit erste Fernverkehrs-Erfahrungen sammelt. «Es ist ein Prestige-Projekt», gibt Thomas Küchler, Geschäftsführer der SOB, zu.
Ihm sei bewusst, dass diese Zugsverbindung wahrscheinlich nie schwarze Zahlen schreiben und immer auf Quersubventionierung angewiesen sein werde. Dafür habe die SOB einen Vertrag mit der SBB. «Die Bundesbahnen decken allfällige Defizite», meint Küchler. So funktioniere das System: Weniger frequentierte Züge würden mithilfe der wichtigen Pendlerstrecken finanziert.
«Die Wirtschaftlichkeit ist aber auch nicht das Ziel des Treno Gottardo», so Küchler. Es gehe in erster Linie darum, dass die Tourismusregionen an der Gotthard-Bergstrecke wieder Aufwind bekämen. «Momentan befinden sie sich in einer Art Dornröschen-Schlaf.» Gemeint sind damit das Urner Oberland und die Leventina im Tessin. Seit der Eröffnung des Gotthard-Basistunnels waren diese Regionen von den grossen Zentren aus mit dem Zug nur noch indirekt erreichbar.
Braucht auch andere Angebote
Kann eine neue Zugsverbindung diesen Regionen tatsächlich neues Leben einhauchen? Jein, meint Tourismusexperte Rico Maggi von der Università della Svizzera italiana. «Der Zug allein reicht dafür nicht. Verbesserungen im Verkehrssystem bringen nur was, wenn in den Tälern auch etwas geschieht.» Es brauche deshalb neue touristische Angebote.
Potenzial gebe es: «Die alten Kirchen in Giornico etwa oder auch Faido als ehemaliger Kurort könnten Leute anziehen. Und auch das Göscheneralptal hat einiges zu bieten.» Wichtig sei aber, dass die Bewohner der Täler dies auch erkennen, so Maggi. «Es braucht Läden mit lokalen Souvenirs, Lebensmitteln und gute Restaurants.»
Beweislast liegt bei den Betreibern
Dass die neue Zugsverbindung allein höchstens in der Anfangsphase Touristen anziehen kann, das ist sich auch Thomas Küchler bewusst. Die SOB hat deshalb einen neuen Online-Shop lanciert, auf dem neben den Zugtickets auch touristische Highlights aus der Region angepriesen werden. «Unsere Aufgabe ist es nun, zu beweisen, dass man diese Bergstrecke aus rein touristischen Gründen erhalten kann.»
Die SOB wendet einiges an Ressourcen auf, um dies beweisen zu können. Das Unternehmen will dank neuen Strecken seine Belegschaft bis Ende 2021 auf 800 Mitarbeitende ausbauen – das sind 200 mehr als zuvor.