Ein aktueller Bundesgerichtsentscheid, der «10vor10» exklusiv vorliegt, betrifft das Unternehmen Taxi 444 AG in Zürich. Die Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (Suva) hatte drei Fahrer der Taxi-Zentrale als Unselbstständige eingestuft. Die Suva legt nämlich die Stellung von Chauffeuren im Transportgewerbe sozialversicherungsrechtlich fest. Dadurch müssen selbständige Taxifahrer neu wie Angestellte behandelt werden, das heisst, die Taxi-Zentralen müssen für sie Sozialversicherungsbeiträge leisten.
Das Bundesgericht bestätigt die Sichtweise der Suva: Fahrer einer Taxi-Zentrale gelten demnach «sozialversicherungsrechtlich als unselbstständig Erwerbstätige». Dafür sprächen ein «Unterordnungsverhältnis» und dass die «Taxihalter nicht unter eigenem Namen auftreten». Zudem hätten die Fahrer «keine wesentlichen Investitionen getätigt», so das Bundesgericht.
«Das wird die ganze Branche erschüttern»
Der Entscheid habe Signalwirkung für das Taxi-Gewerbe in der Schweiz, sagt Thomas Gächter, Professor für Sozialversicherungsrecht an der Universität Zürich: «Die Bedeutung ist für die Taxi-Zentralen in der Schweiz sehr weitreichend. Das Geschäftsmodell, das sie bis jetzt hatten – mit dieser Art von Entschädigung – funktioniert so nicht mehr. Das heisst, Taxifahrer müssen jetzt angestellt werden beziehungsweise abgerechnet werden wie Angestellte.»
Flavio Gastaldi, Geschäftsführer von Taxi 444, sieht die Genossenschaft in ihrer Existenz gefährdet. Und auch er ist überzeugt: «Das wird die ganze Branche durchwühlen und erschüttern. Die Zentrale gehört der Genossenschaft – jedem einzelnen Halter. Da ist es doch paradox, wenn diese jetzt von der Zentrale angestellt werden sollen.»
Bereits hat die Suva bei mehreren der grossen Taxi-Zentralen in der Schweiz entsprechende Verfügungen erlassen. Zudem sind vor kantonalen Gerichten diverse Verfahren hängig. Bei den Taxi-Zentralen ist die Aufregung entsprechend gross. Der Branchenverband TaxiSuisse spricht von rund 1500 bis 2000 betroffenen Fahrern – bei rund 5000 Taxis in der Schweiz ist das eine hohe Zahl.
Christoph Wieland, Präsident von TaxiSuisse, sagt gegenüber «10vor10»: «Bei den Taxi-Zentralen in den grossen Städten hat das jahrzehntelange Tradition.» Zudem lasse das Urteil keinen grundsätzlichen Schluss auf die Stellung aller Taxifahrer zu, die an einer Zentrale angeschlossen seien, da jede Taxi-Zentrale anders sei.
Kurt Schaufelberger, Geschäftsführer der Datenfunk-Zentrale Basel, mahnt zudem: «Ein Angestelltenverhältnis zwischen Chauffeur und Zentrale, das will eigentlich niemand – weder der Chauffeur noch die Zentrale. Das ist ein Urgedanke der Freiheit unseres Gewerbes, der sehr hoch gehalten wird und dadurch sehr stark angegriffen ist.» Und: Bei der Datenfunk-Zentrale seien bereits heute auch viele GmbHs angeschlossen, die für ihre Angestellten abrechneten.
Taxi-Fahren könnte teurer werden
Sozialversicherungsrechtler Thomas Gächter erachtet den Entscheid des Bundesgerichts als stichhaltig: «Die Praxis der grossen Taxi-Zentralen ist in den 1970er Jahren entstanden. Damals hat das sehr viel Sinn gemacht, die Taxifahrer als Selbstständige zu behandeln. Heute aber sind die Kosten viel geringer und auch das Risiko der Taxifahrer ist geringer – darum jetzt diese Praxisänderung.»
Die Folgen könnten die Konsumenten im Portemonnaie spüren – denn die Taxi-Zentralen würden die Kosten wohl auf die Konsumenten abwälzen müssen, sagt Gächter. «Aber für die Taxifahrer heisst es, dass der Sozialversicherungsschutz bedeutend besser wird. Denn neu werden sie in der Unfallversicherung, in der Arbeitslosenversicherung und in einer Pensionskasse versichert sein.»
Signalwirkung auf Fahrdienst Uber
Der Entscheid trifft die Taxi-Zentralen in einer unsicheren Zeit: Bereits sind die Zentralen durch den US-Fahrdienst Uber unter Druck geraten. Doch Gächter sieht auch Uber von diesem Urteil betroffen: «Wahrscheinlich wird das Bundesgericht diese Rechtsprechung ja auch auf Uber anwenden und Uber wird selber auch unter Kostendruck kommen.»