Dass das Tessin von seinem Mann in Bern profitiert, scheint von links bis rechts unbestritten. Für den Tessiner Regierungspräsidenten Manuele Bertoli von der SP hat das Tessin in Bern wieder mehr Gewicht, seit Ignazio Cassis dort in der Regierung sitzt.
SVP-Präsident Marco Chiesa wünscht sich von Cassis zwar ein energischeres Vorgehen bei den Verhandlungen mit Italien, betont aber gleichzeitig auch den Vorteil, mit Cassis einen Landesteilvertreter in der Landesregierung zu haben, der die besondere Tessiner Arbeitsmarktsituation kennt.
Cassis bringt das Tessin näher
Nur wer etwas kennt, kann dafür Verständnis schaffen. Verständnis schaffen für die besondere Lage der italienischsprachigen Schweiz. Das ist der grosse Verdienst von vier Jahren Ignazio Cassis in Bern. Die Coronakrise sei ein gutes Beispiel dafür, sagt der Direktor der Tessiner Handelskammer, Luca Albertoni.
In der Coronakrise wurde das Tessin dank Cassis zum Vorbild für die Schweiz.
«Das Tessin wurde sehr stark von der ersten Welle getroffen und musste als erster Kanton der Schweiz schnell Massnahmen ergreifen. Cassis konnte in Bern Verständnis für die geforderten Massnahmen schaffen. Das Tessin wurde damit zum Vorbild für die Schweiz», sagt Albertoni.
Weniger Spannungen
Grundsätzlich lässt sich festhalten, dass der Südkanton mit Cassis in Bern mehr ins Rampenlicht gerückt ist. Seit er Bundesrat ist, finden mehr Anlässe mit Medienrummel im Tessin statt. Einen Teil der Ansprachen findet jeweils auf Italienisch statt. Die Italianità, die italienische Sprache, erhält auch in der Bundesverwaltung mehr Gehör. Das hat jüngst eine Untersuchung zum Thema gezeigt.
Cassis hat Ruhe in konfliktreiche Gesprächsthemen zwischen Bern und dem Tessin gebracht.
Für den Tessiner Politgeografen Oskar Mazzoleni steht fest: Es gibt einen klaren Cassis-Effekt. «Die Rolle von Cassis scheint die des Neutralisierers zu sein. Bevor Cassis da war, waren die Gespräche zwischen dem Tessin und Bern sehr konfliktbeladen, besonders wenn es um Grenzgängerfragen und sonstige Themen mit Italien ging. Cassis hat Ruhe in diese Gespräche gebracht.»
Cassis bewege in Bern etwas für das Tessin. Und das habe direkte politische Folgen in der Südschweiz, ist Mazzoleni überzeugt. Die Tessinerinnen und Tessiner fühlten sich von Bern wieder ernster genommen. Und das bremse die populistische Politik der wählerstärksten Partei der Lega, die gerne gegen Bern und Grenzgänger wettere.