Menschen haben immer wieder Flussläufe verändert, auch in der Schweiz. Flüsse wurden begradigt, dort ein Seitenarm abgetrennt, da ein Flusskraftwerk eingebaut.
Aus dieser Zeit zeugen an der Reuss im Aargau künstlich abgetrennte Seitenarme des Flusses. Einer davon ist die Stille Reuss, inzwischen Heimat vieler seltener Tier- und Pflanzenarten. Aber sie sind in Gefahr. Ihr Lebensraum verlandet. Nun greifen schwere Maschinen ein und reaktivieren die Stille Reuss, für rund eine Million Franken.
Ein Saugbagger ist in Fischbach-Göslikon (AG) in der Stillen Reuss im Einsatz. Der Bagger – ein Boot mit Schaufel und Saugrohr – holt Sedimente und Sand aus dem Wasser, damit der Wasserstand wieder höher wird und das Gewässer weniger verlandet.
Die Stille Reuss ist ein Altarm der Reuss, in dem aber kein Wasser fliesst. Bloss die Stirnseite ist mit der Reuss verbunden. Frisches Wasser gelangt nur bei Hochwasser in den Seitenarm.
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Bild 1 von 2. Die Stille Reuss von oben im Herbst 2019. Noch mehr Schilf und Seerosen würden den Lebensraum von seltenen Tierarten verdrängen. Deshalb greift der Saugbagger ein. Bildquelle: zvg/Stadt Bremgarten/Hunziker, Zarn & Partner AG, .
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Bild 2 von 2. Die Stille Reuss bei Fischbach-Göslikon (AG). Die Stirnseite dieses Seitenarms der Reuss ist noch mit dem Fluss verbunden. Allerdings kommt nur bei Hochwasser neues Wasser in den «Weiher». Bildquelle: SRF.
Allerdings wird bei Hochwasser auch viel Sand hineingespült. Er setzt sich und ist der Hauptgrund für die Verlandung. Weil sich der Seitenarm des Flusses nicht durchspülen lässt, muss jetzt der Saugbagger ran.
Die abgesaugten Sedimente werden ans Ufer transportiert, entwässert und später der Landwirtschaft zugeführt. Weiter werden Schilf- und Seerosen zurückgedrängt. Das Ziel: ein Wasserstand von zwei Metern.
Naturschutz für Schnecken, Muscheln und Fische
Die Bauarbeiten sollen seltenen Tier- und Pflanzenarten dienen, sagt Christian Rechsteiner, Projektleiter in der Abteilung Landschaft und Gewässer beim Kanton Aargau. Fische erhalten danach mehr Laich- und Lebensraum. Der Sauerstoffgehalt des Gewässers soll steigen. «Schnecken- oder Muschelarten können sich so wieder entwickeln.»
Wenige «tote» Zonen mit Sand und Sedimenten belässt man aber bewusst. Hierhin können sich die Tiere, die am Grund leben, zurückziehen, während der Saugbagger arbeitet.
Neu wird ein Sandfang gebaut. Bei einem Hochwasser wird zuerst der Sandfang gefüllt, das Wasser bleibt stehen und die Sedimente setzen sich nur hier, und nicht im eigentlichen Gewässer. «So wird die Verlandung der Stillen Reuss sehr stark verzögert», sagt Christian Rechsteiner vom Kanton Aargau. Man müsse nicht mehr alle 30 Jahre die Verlandung rückgängig machen.
Mit dem Sandfang wird die Verlandung der Stillen Reuss sehr stark verzögert.
Könnte man den Seitenarm wieder beidseitig mit dem Fluss verbinden, wäre das Problem gelöst? Nein, sagt Rechsteiner. «Das sind ganz unterschiedliche Lebensräume, ein durchströmtes Seitengewässer und ein Altarm. Im Altarm hat es ganz andere Libellenarten drin, zum Beispiel. Es wäre technisch möglich, aber eine ganz andere Zielsetzung des Naturschutzes», hält der Fachmann fest.
Auch Tote Reuss wird aufgewertet
Neben der Stillen Reuss befindet sich die Tote Reuss, ein weiterer, noch grösserer Seitenarm, der gar nicht mehr mit dem Fluss verbunden ist. Die Tote Reuss gilt als Feuchtgebiet nationaler Bedeutung und wird im Rahmen der Arbeiten an der Stillen Reuss nicht reaktiviert, sondern aufgewertet.
«Ältere Tümpel werden für die Amphibien instand gestellt, eine Riedwiese wird aufgewertet, und man baut neue Teiche, zum Beispiel für den Laubfrosch», erklärt Projektleiter Rechsteiner.
Für die betroffene Region Bremgarten gelten Tote und Stille Reuss als wichtige Naherholungsgebiete. «Es ist ein ganzes Spazier- und Wandergebiet, mit verschiedenen Auengebieten. Wenn ein Weiher verlanden würde, wäre es sehr schade, auch wegen der Artenvielfalt», sagt Raymond Tellenbach, Stadtammann des Städtchens Bremgarten.
Die Leute verstehen, dass man den Sand nicht mit dem Schüfeli herausholen kann.
Er glaubt, dass die Bevölkerung Verständnis für die Bauarbeiten mitten im Naturschutzgebiet zeigt. «Bei einem ähnlichen Projekt in der Nähe, in Rottenschwil, war das Interesse an den Arbeiten gross. Die Leute haben verstanden, dass man den Sand nicht mit einem Schüfeli aus dem Wasser holen kann, sondern nur mit Baumaschinen.»
Mit Maschinen für den Naturschutz
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Bild 1 von 3. Bauarbeiten in Mellikon (AG): Hier wird ein Auenschutzpark gebaut. Auch dafür sind schwere Maschinen nötig. Bildquelle: Alex Moser/SRF.
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Bild 2 von 3. Ein Saugbagger in einem anderen Aargauer Naturschutzgebiet. Bildquelle: zvg/Oekovision GmbH .
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Bild 3 von 3. Kahles Naturschutzgebiet am Hallwilersee: Mehrmals im Jahr mäht ein grösseres Raupenfahrzeug das Schilf. Ohne Eingriff würde das Moor verlanden und wäre viel zu trocken. Bildquelle: Christiane Büchli/SRF.
Schwere Maschinen durchaus sinnvoll?
Auch bei der Naturschutzorganisation Pro Natura begrüsst man die Arbeiten mit dem Saugbagger: «Die Stille Reuss gehört zu den wertvollsten Naturschutzgebieten im Kanton Aargau. Solche Flussaltwasser zählen zu den artenreichsten Teillebensräumen in Auengebieten», sagt Matthias Betsche, Geschäftsführer von Pro Natura Aargau, auf Anfrage.
Gewisse sinnvolle Eingriffe können den Einsatz einer schweren Maschine erfordern.
Er bedauert, dass der Wasserkanton Aargau sehr viele Feuchtgebiete verloren hat. Ohne die Hilfe der Menschen würden viele Auengebiete wieder verlanden: «Diese Aufwertungsprojekte tragen zur Erhaltung der Artenvielfalt bei.» Es brauche manchmal durchaus schwere Maschinen, um möglichst schonend zu arbeiten. «Solch massive Einsätze kommen nur alle paar Jahrzehnte vor.»
Erste Resultate zeigen Erfolg
Ähnlich wie in Fischbach-Göslikon wurde 2021 der ebenfalls «Stille Reuss» genannte Abschnitt bei Rottenschwil (AG) mit dem Saugbagger bearbeitet. Bereits nach einem Jahr zeige die Kontrolle, dass es funktionierte, sagt Christian Rechsteiner vom Kanton Aargau.
Alle seltenen und prioritären Arten konnten erhalten werden.
Die Tier- und Pflanzenarten fühlen sich wohl. «Alle seltenen und prioritären Arten konnten im Gebiet erhalten werden». Ohne den Eingriff in die Natur wäre auch dieser Altarm des Flusses verlandet.
Der Kanton Aargau ist nicht der einzige, der in Naturschutzgebiete eingreift. Auch der Kanton Solothurn setzte zum Beispiel einen Saugbagger ein, damit der Inkwilersee auf der Grenze zu Bern nicht noch mehr verlandet. Und im Kanton Zürich wird im Auengebiet in Dietikon ähnliches Gerät verwendet.
Die Eingriffe in unsere Flusslandschaften von früher werden Fachleute und Naturschützerinnen noch länger beschäftigen. Noch geht dem Saugbagger die Arbeit nicht aus. Bis im Frühling jedenfalls wird bei Fischbach-Göslikon im Naturschutzgebiet gearbeitet. Langfristig sollte das wie geplant nicht mehr oft nötig werden.