Das öffentliche Ansehen einer Ausbildung ist ein wichtiges Kriterium, wenn es um die Berufswahl geht. Doch wie kann man dieses Ansehen wissenschaftlich messen? Normalerweise indem Schüler und Eltern befragt werden, wie Ursula Renold von der Konjunkturforschungsstelle der ETH Zürich erklärt. Diese Umfragetechnik habe allerdings den grossen Nachteil, dass die Menschen so antworten, wie sie glauben, dass es erwartet wird.
Wunsch und Wirklichkeit ausgelotet
Die ETH-Forscher haben deshalb eine neue Messmethode entwickelt, welche die soziale Erwünschtheit von Antworten ausschaltet. Dabei werden die Lese- und Mathematikkompetenzen von Neuntklässlern ausgewertet. Die Resultate werden dann mit den Berufswünschen jener verglichen, die sich für eine Berufslehre oder das Gymnasium entscheiden müssen.
«Damit können wir die kognitiven Kompetenzen mit dem Berufswunsch vergleichen und in Zusammenhang bringen. Das ergibt einen viel objektiveren Ansatz, als wenn man die Meinungen abfragt», so Renold.
Damit können wir die kognitiven Kompetenzen mit dem Berufswunsch vergleichen.
Grosse Überschneidungen beim Lesen und Schreiben
Dieser «objektivere Ansatz» führte die Forscher nun zur Erkenntnis, dass die guten Schüler nicht zwingend eine akademische Laufbahn einschlagen. So gibt es bei den Lese- und Schreibkompetenzen der zukünftigen Gymnasiasten und Lehrlingen eine starke Überschneidung.
Es steht also besser als gemeinhin angenommen um den sozialen Status der Berufsbildung. Eine Schwäche hat die Messmethode allerdings, weil sie ausschliesslich auf die Jugendlichen, nicht aber auf die Eltern abzielt. Denn es ist bekannt, dass die Eltern beim Ausbildungsentscheid ihrer Kinder eine zentrale Rolle spielen.
Bildungsgrad der Eltern relativiert
Dennoch hält Renold die Studienresultate für belastbar: Immerhin könne der Bildungshintergrund der Eltern aufgezeigt werden. Dabei ergäben sich keine grossen Unterschiede, ob die Eltern einen höheren oder einen Hochschulabschluss hätten. Für diese Studie sei das auch gar nicht so entscheidend.
Auch Einwanderer prägen Stadt-Land-Unterschied
Was dagegen laut Studie durchaus entscheidend ist: In den Städten ist der soziale Status der Berufsbildung geringer als auf dem Land. Das beobachtet auch Niklaus Schatzmann, Leiter des Bildungsamts im Kanton Zürich: «Es gibt tatsächlich Gebiete und Quartiere in gewissen Städten, wo die Erwartungen sehr hoch sind, dass das Kind ans Gymnasium geht.»
Ein wichtiger Grund für diese Diskrepanz ist gemäss Studie, dass in den städtischen Gebieten mehr Einwanderer leben als auf dem Land. In deren Herkunftsländern ist die Berufsbildung aber oft wenig verankert. Auch ist ihnen das in der Schweiz einzigartige System oft gar nicht bekannt und die Skepsis nachvollziehbar, wie Schatzmann sagt.
Potenzial erkannt – Quoten angemessen
Wenn es darum geht, mehr Jugendliche für eine Lehre zu begeistern, gilt es also vor allem bei den Jugendlichen und Eltern mit Migrationshintergrund anzusetzen. Schatzmann und die ETH-Forscher sind sich einig, dass hier noch Potenzial brachliegt. «Wir müssen ihnen aufzeigen, dass auch eine berufliche Bildung hervorragende Karrieremöglichkeiten bietet.»
Diese Aufklärungsarbeit geschehe aber schon heute. Akuten Handlungsbedarf sieht Schatzmann deshalb nicht. Die aktuelle Maturanden-Quote von durchschnittlich 20 Prozent sei nicht zu hoch, sondern angemessen: «Im Moment sind die Hochschulen mit der von den Gymnasien gelieferten Leistungsfähigkeit zufrieden, weshalb sie auch noch auf Eintrittsprüfungen verzichten.» Dies sei ein Zeichen, dass die Lage grundsätzlich stimme, so Schatzmann.
Wir müssen aufzeigen, dass auch eine berufliche Bildung hervorragende Karrieremöglichkeiten bietet.
Mit Blick auf die gesamte Bevölkerung steht es also gut um den sozialen Status der Berufsbildung, weil eben auch viele Jugendliche mit hohen Pisa-Kompetenzen den Bildungsweg über eine Lehre wählen.