- Eine von Sotomo publizierte Studie zeigt: 61 Prozent der 18- bis 25-Jährigen sind der Ansicht, dass nicht-monogame Beziehungsformen wie Polyamorie in Zukunft normal und akzeptiert sein werden.
- Trotz der steigenden Akzeptanz alternativer Lebens- oder Liebesformen: Oft werden diese in der Gesellschaft noch tabuisiert.
- Eine rechtliche Absicherung, ähnlich ein Ehevertrag, gibt es aktuell für Mehrfach-Beziehungen nicht.
- SRF hat Menschen getroffen, die polyamore Beziehungen führen. Darunter ältere und jüngere Generationen.
Dominik Waser und Jan Müller, beide 23-jährig, leben in polyamoren Beziehungen. Dominik ist mit einer Frau und zwei Männern zusammen. Einer seiner Partner ist Jan. Jan wiederum führt eine weitere Beziehung mit einem anderen Mann. Alle Beteiligten – ihre Beziehungsmenschen, wie sie diese selber nennen – wissen voneinander und führen diese Beziehungsform einvernehmlich. Es sei wichtig, offen und transparent miteinander über Bedürfnisse und Gefühle zu sprechen, erklären die beiden.
Von der Monogamie zur Polyamorie
Das Ganze war jedoch auch ein Prozess, sagt Dominik Waser: «Es hat auf jeden Fall Zeit gebraucht, um sich auch in dieser Gesellschaft, in der Monogamie und heteronormative Vorstellungen vorherrschend sind, selber zu finden.»
Auch Jan Müller lebte früher monogam, heute möchte sich der 23-Jährige nicht mehr einschränken: «Am liebsten möchte ich Beziehungen gar nicht mehr definieren, sondern sie einfach so leben, wie es für mich und meine Beziehungsmenschen gerade stimmt.»
Polyamorie auch bei verheirateten Paaren
Nicht nur junge Menschen, auch ältere Generationen leben Mehrfach-Beziehungen. So auch Sheila Karvounaki Marti, 42-jährig, und Michael Loss, 47-jährig. Beide sind verheiratet, führen jedoch nebst ihrem Ehepartner beziehungsweise ihrer Ehepartnerin auch noch Liebesbeziehungen mit anderen Menschen.
Meine Kinder wussten, dass Mami noch andere Schätzelis hat neben dem Papi-Schätzeli.
Mit ihrem Mann hat Sheila Karvounaki Marti drei gemeinsame Kinder. Auch ihnen gegenüber kommuniziert sie offen: «Sie wussten relativ früh Bescheid – natürlich in altersgerechter Form. Sie wussten, dass Mami noch andere Schätzelis hat neben dem Papi-Schätzeli. Oder auch, dass mein Mann noch andere Schätzelis hat.»
Mehrere gleichwertige Beziehungen
Für die 42-jährige Zürcherin mindert es die Beziehung oder Liebe zu den anderen Partnern keineswegs, nur weil man zwei oder mehrere weitere Beziehungen führe. «Es sind weder weniger Gefühle da, noch habe ich den anderen weniger gern. Das Eine hat mit dem Anderem nichts zu tun.»
Monogam zu leben, könnten sich die beiden nicht mehr vorstellen: «Wir haben keine Regeln und können frei das leben, was wir empfinden. Es gibt keine Grenzen, wir haben Beziehungen mit anderen Menschen, die vollwertig sind, gehen mit diesen Partnern in die Ferien und verbringen den Alltag zusammen», erzählt Michael Loss aus Zürich.
Trotz erhöhter Akzeptanz nach wie vor ein Tabu-Thema
Dass vermehrt alternative Beziehungen gelebt werden, bemerken auch die Paar-Therapeutinnen und -therapeuten. So auch Psychiaterin Judith Oehler, die seit 20 Jahren als Paartherapeutin tätig ist: «Ich beobachte auf jeden Fall bei mir in der Praxis, dass sich vermehrt junge Leute – ich würde sagen zwischen 25 und 35 – mit solchen Fragen auseinandersetzen, allenfalls gar polyamore Beziehungsformen ausprobieren.»
Es braucht noch mehr Dialog.
Alternative Beziehungsformen seien jedoch immer noch ein gesellschaftliches Tabu: «Im Umfeld hat es Leute gegeben, die haben sich verabschiedet, verurteilt und verabschiedet oder verurteilt und sich nicht verabschiedet, das ist die schlimmere Variante», berichtet Michael Loss. Trotzdem habe es durchaus auch positive Reaktionen gegeben.
Dass sich trotz bestehender Tabuisierung gesellschaftlich langsam etwas verändert, bestätigt auch der 23-jährige Dominik Waser: «Unsere Generation schafft es langsam, die Bilder und Muster der klassisch bürgerlichen Familie aufzubrechen. Trotzdem braucht es noch mehr Dialog.»
Fehlende rechtliche Absicherung
Entstigmatisierung und die Gleichstellung alternativer Lebens- und Liebesformen – das wünschen sich viele polyamor lebende Menschen – so auch Jan Müller: «Ich wünsche mir, dass man die verschiedenen Beziehungsformen auch rechtlich absichern kann und vielleicht wegkommt von der klassischen Ehe nur zwischen zwei Menschen.»
Eine rechtliche Absicherung wie einen Ehevertrag für Mehrfach-Beziehungen gibt es heute nicht. Das Schweizer Recht ist bis jetzt ausschliesslich auf monogame Beziehungen ausgerichtet.