Wenn jemand etwas kritisiert und merkt, dass sich die Situation zehn Jahre später nicht verbessert hat, dann ist er in der Regel enttäuscht. Genau so ging es der Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), als sie die Schweizer Umweltpolitik dieses Jahr analysierte. Schon 2007 hat die Organisation bemängelt, dass die Schweiz zu wenig unternehme für den Artenschutz. Nun 2017 sei die Situation nur wenig besser, stellen die OECD-Experten fest.
In den letzten hundert Jahren sind über 80 Prozent der Moore verschwunden. Über ein Drittel aller Tier- und Pflanzenarten ist heute bedroht – so viel wie in keinem anderen OECD-Land, ausser Slowenien und Ungarn. Die Tiere und Pflanzen finden nirgends Schutz. Nur 6,2 Prozent der Gesamtfläche ist geschützt in der Schweiz. Die OECD hält 17 Prozent für erstrebenswert. Ein Wert, den Länder wie Frankreich und Grossbritannien deutlich übertreffen. Dabei sind deren Schutzkriterien noch deutlich schärfer als diejenigen, die hierzulande für Naturschutzgebiete angewendet werden.
Klar, die Schweiz ist klein, und ihre Bevölkerung ist in den letzten Jahren rasant gewachsen. Aber in anderen Bereichen des Umweltschutzes hat sie es geschafft, Wachstum und Verschmutzung zu entkoppeln: So sinken die CO2-Emissionen beispielsweise in den letzten Jahren, obgleich die Wirtschaft wächst. Das hat zwar mit der Auslagerung energieintensiver Bereiche der Wirtschaft zu tun, aber nicht nur.
Warum läuft also nicht mehr zum Schutz der Artenvielfalt? Möglicherweise, weil der Verlust der Biodiversität bisher recht unbemerkt geblieben ist. Umfragen zeigen, dass viele Schweizerinnen und Schweizer den Zustand der Umwelt in der Schweiz für besser halten als er ist. Sie haben offensichtlich vergessen, dass es noch vor 20 Jahren fast überall möglich war, einen Blumenstrauss zu pflücken. Dass man in vielen Feuchtgebieten heute deutlich weniger von Insekten gestochen wird als noch vor ein paar Jahren, mag angenehm sein, deutet aber darauf hin, dass das Ökosystem aus dem Gleichgewicht gerät.
Immerhin will die Politik aktiv werden. Erst im September hat der Bundesrat eine Strategie zur Biodiversität inklusive Massnahmenplan verabschiedet – sozusagen als Antwort auf die Mahnung der OECD vor zehn Jahren. Der Bund will mehr Fläche schützen und die Schutzgebiete untereinander verbinden, damit zum Beispiel Amphibien ohne Problem zu ihren Laichgebieten wandern können und zurück.
Jetzt müsse diese Strategie rasch umgesetzt werden, fordern die Experten der OECD. Und sie müsse noch ergänzt werden. Der Bund, die Kantone und die Gemeinden sind also gefordert, wenn sie verhindern wollen, dass der wunde Punkt im OECD-Umweltbericht in zehn Jahren nicht immer noch die Biodiversität ist.