Die Krise nimmt wieder Fahrt auf. Bund und Kantone legen immer komplexere Massnahmen fest. Die Kommunikation darüber, was wann, wo, unter welchen Bedingungen erlaubt ist, wird zunehmend unüberschaubar. Der Medien- und Kommunikationsforscher Dr. Daniel Vogler vom Forschungszentrum Öffentlichkeit und Gesellschaft der Universität Zürich (fög) stellt den Behörden und Medien kein schlechtes Zeugnis aus. Dennoch hält er deren Leistungen in der aktuellen Krisenkommunikation für ausbaubar.
SRF News: Ist die adäquate Information der Bürger noch gegeben, angesichts der immer komplexer werdenden Corona-Massnahmen?
Daniel Vogler: Die momentan herrschende Vielfalt der Massnahmen macht die Krisenkommunikation tatsächlich schwierig. In Krisen suchen die Menschen nach Orientierung. Da sind klare Botschaften und Handlungsanweisungen von Vorteil. Die Massnahmen sollten nach einem Entscheid einheitlich und mit klaren Botschaften kommuniziert werden.
Was machen Bund und Kantone in ihrer aktuellen Kommunikation richtig, was könnten sie besser machen?
Die aktuelle Situation ist äusserst anspruchsvoll. Auch aus kommunikativer Sicht lässt sich schwer beurteilen, ob eine andere Strategie zu einem besseren Ergebnis geführt hätte. Insgesamt wirkt die aktuelle Krisenkommunikation von Bund und Kantonen aber konzeptlos. Die Kommunikation vermittelt den Eindruck, dass man reagiert und nicht agiert. Ein gutes Beispiel ist die aktuelle Kommunikation. Man gibt sich gegen aussen überrascht von der schnellen Entwicklung. Das wirkt Ende 2021 einfach unglaubwürdig. Gerade auch, weil viele Expertinnen und Experten wiederholt vor genau diesem Szenario warnten und sich die Entwicklung im nahen Ausland ja abgezeichnet hat.
Krisenkommunikation darf nicht nur auf Bedrohung fokussieren.
Im Moment fehlen auch klare Führungsfiguren. Aktuell übernehmen weder der Bundesrat noch die Kantone, mit wenigen Ausnahmen, eine solche Rolle. Diskutiert wird im Moment die Einführung eines Krisenstabs. Das hätte den Vorteil, dass auch die Kommunikation zentraler und einheitlicher organisiert werden könnte.
Allerdings darf gute Krisenkommunikation nicht nur auf die Bedrohung fokussieren. Sie muss stets auch Perspektiven aufzeigen. Bund und Kantone haben in ihrer Kommunikation die Freiheiten betont, die mit den vergleichsweise restriktiven Massnahmen einhergehen. Diese Strategie kann man natürlich kritisieren. Sie erhöht aber vermutlich längerfristig die Akzeptanz der Massnahmen.
Was machen Medien in ihrer aktuellen Kommunikation richtig, was könnten sie besser machen?
Wir haben in unseren Studien zur Qualität der Berichterstattung über die Coronapandemie festgestellt, dass die Medien in der Schweiz insgesamt einen guten Job machen. Sogenannter Hofjournalismus oder übertriebenen Alarmismus haben wir nicht festgestellt. Zudem haben die Medien dazugelernt. Sie ordnen zum Beispiel Zahlen zur Pandemie häufiger ein. Die Problemzone bleibt die Vielfalt. Unsere Daten zeigen, dass Experten und Expertinnen aus dem medizinischen Bereich eine hohe Resonanz erhalten. Obwohl die Pandemie praktisch alle Bereiche der Gesellschaft betrifft. Zudem haben die Medien zu Beginn der Pandemie ihre Frühwarnfunktion ungenügend wahrgenommen.
Medien sollten sorgfältig abwägen, welches Gewicht sie welchem Akteur geben.
Vielfalt ist aber gerade in diesem Zusammenhang auch ein zweischneidiges Schwert. Häufig wurde von der sogenannten False Balance gesprochen. Wissenschaftliche Zusammenhänge werden durch die Gleichberücksichtigung von Pro und Contra so dargestellt, dass sie im Fachdiskurs umstritten sind. Dies, obwohl unter der grossen Mehrheit der Wissenschaftlerinnen ein Konsens herrscht. So entsteht auch bei den Mediennutzenden das Bild, dass wissenschaftliches Wissen beliebig interpretierbar ist. Medien sollten deshalb sorgfältig abwägen, welches Gewicht sie einzelnen Akteuren und Positionen in ihrer Berichterstattung geben.
Sehen Sie kommunikativen Handlungsbedarf bei den Akteuren im Kampf gegen Falschinformationen, Propaganda und Agitation?
Unsere Forschung zeigt, dass sogenannte Desinformation in der Schweiz sichtbarer geworden ist. Gemäss unserer Studie ist rund die Hälfte der Bevölkerung der Meinung, dass Falschinformation eine Gefahr für die Gesellschaft darstellen. Eine gut informierte Bevölkerung ist sicher das beste Abwehrmittel gegen Desinformation. Ebenfalls wichtig ist aber auch eine stringente und transparente Krisenkommunikation seitens der Behörden. Da gehört es auch dazu, Fehler offen einzuräumen. Die Kommunikation zu den Masken, deren Wirkung zu Beginn der Pandemie in Abrede gestellt wurden, ist ein gutes Beispiel für eine missglückte Kommunikation auf Kosten der Glaubwürdigkeit.
Das Gespräch führte Michael Fröhlich