Simone Feuerstein wartet in ihrem Rollstuhl im Zürcher Nobelquartier Seefeld an der Haltestelle Fröhlichstrasse. Sie selber ist alles andere als fröhlich, denn sie muss schon das zweite Tram vorbeifahren lassen. Die 34-Jährige kann nicht einsteigen, da beide Trams einen Stufeneinstieg haben.
Das Perron ist das Problem
Sie muss also weiter warten, bis ein neueres Tram mit einem ebenerdigen Einstieg kommt. Aber auch dann kann sie nicht ohne Hilfe einsteigen, weil das Tram-Perron baulich noch nicht in der Höhe angepasst worden ist. «Der Chauffeur muss die Rampe hervorholen, damit ich in ein Cobra-Tram einsteigen kann», erklärt Feuerstein.
Nach einer Viertelstunde kommt endlich ein Cobra-Niederflurtram. Der Chauffeur steigt aus der Führerkabine und macht die Rampe bereit, damit Feuerstein mit ihrem Rollstuhl ins Tram fahren kann – und auch dabei braucht sie die Hilfe des Chauffeurs.
Zur Arbeit mit dem Taxi
Endlich ist Simone Feuerstein in der Innenstadt angekommen. Sie hat heute frei und deshalb Zeit. Zur Arbeit geht die gelernte Kaufmännische Angestellte jedoch mit dem Taxi. «Wenn ein Mensch mit einer Behinderung pünktlich ankommen muss, ist der öffentliche Verkehr keine Option. Man muss sich anders organisieren.»
Wenn ein Mensch mit einer Behinderung pünktlich ankommen muss, ist der öffentliche Verkehr keine Option.
Das Problem sind nicht in erster Linie die Fahrzeuge, sondern die Haltestellen. Sie sind längst nicht alle behindertengerecht umgebaut. Immerhin: Man sei auf gutem Weg, sagt Daniela Tobler von den Verkehrsbetrieben Zürich VBZ.
Nachholbedarf besteht allerdings bei den Bushaltestellen. Hier sind laut Tobler erst etwas mehr als ein Drittel aller Haltestellen gesetzeskonform umgerüstet.
Frust beim Behindertenverband
Auch wenn man vorwärtsmacht in Zürich: Das Ziel, bis Ende Jahr alle Haltestellen behindertengerecht umzurüsten, wird man nicht erreichen. Ähnlich sieht es in den Städten Bern und Basel aus.
So werden Menschen mit Behinderungen in der Schweiz Menschen zweiter Klasse. Das darf nicht sein.
Entsprechend ist man beim Dachverband der Behindertenorganisationen Inclusion Handicap gar nicht zufrieden mit dem Status quo bei Tram und Busbetrieben. «Das Glas ist immer noch halb leer», sagt Co-Geschäfstleiterin Caroline Hess-Klein zur Umsetzung des Behindertengleichstellungsgesetzes im ÖV.
Denn noch schlechter als in den Städten ist die Situation auf dem Land. «Schweizweit können Menschen in einem Rollstuhl bei einer Bushaltestelle meistens nicht allein ein- oder aussteigen.»
Der Druck wird jetzt erhöht
Deshalb will der Behinderten-Dachverband jetzt mit Einzelklagen den Druck auf die ÖV-Branche erhöhen, damit die Umsetzung des Behindertengleichstellungsgesetzes vorangetrieben wird. Zudem hat er eine Volksinitiative lanciert, welche die Gleichstellung von Menschen mit Beeinträchtigung verlangt.
Manchmal brauche es halt Klagen und Bussen, meint auch die Zürcher Rollstuhlfahrerin Simone Feuerstein. «Nur, wenn es wehtut, macht man vorwärts. Sonst nicht. Und so werden Menschen mit Behinderungen in der Schweiz Menschen zweiter Klasse. Das darf nicht sein», sagt Feuerstein und lässt sich von Passanten helfen, aus dem Bus auszusteigen.