Barbara Stauber ist unheilbar krank, 2017 erhielt sie die Diagnose Leukämie. Seit dem Herbst 2019 ist klar, dass sie sterben wird – wann hingegen nicht. Es gebe Momente, wo sie bereit sei zu gehen, besonders wegen der Schmerzen, sagt die 73-Jährige. Doch sie hat ein Ziel vor Augen: Sie hofft nochmals Weihnachten feiern zu können, «auch wenn es dieses Jahr ein wenig anders wird», so Stauber.
Wegen des Krebses kann ihr Körper kein Blut mehr produzieren, alle zwei Wochen ist darum eine Transfusion nötig. Normalerweise müsste man dafür ins Spital, da die Gefahr besteht, dass sie das fremde Blut nicht verträgt – doch das will Stauber nicht mehr. «Da bin ich nur alleine, gerade in Zeiten von Corona, wo die Besucherzeiten stark eingeschränkt sind.» Auf die Transfusion verzichten ist aber keine Option. «Doping», nennt sie die Blutkonserven, nach der Zuführung hat sie wieder mehr Energie, für kurze Spaziergänge in der Nachbarschaft, für ein Spiel mit ihrem Ehemann.
Ihr rettender Anker ist darum die mobile Palliative Care: Im Zürcher Oberland betreut ein 15-köpfiges Team aus spezialisierten Pflegefachleuten und drei Ärzten rund 600 Patienten im Jahr zu Hause, so auch Barbara Stauber. Sie nehmen geplante Behandlungen wie Bluttransfusionen vor, sind aber auch rund um die Uhr für Notfälle erreichbar und können so manchen Gang ins Spital verhindern. Für die Pflegefachfrau Heidi Lüthi ist die Arbeit im mobilen Team zwar stressig, aber sehr bereichernd: «Eines der grossen Ziele der Palliative Care und auch unseres Teams ist es, dass wir die Lebensqualität von schwer kranken Menschen möglichst hochhalten können.» Das gelinge am besten in der gewohnten und geliebten Umgebung.
Drei Viertel wollen zu Hause sterben
Eine Umfrage des Bundes zeigt, dass die Arbeit von mobilen Teams den Bedürfnissen von Schwerstkranken entspricht. Einem Grossteil der Befragten liegt es am Herzen, ohne Ängste und Schmerzen sterben zu können, im Rahmen der Familie zu Hause. Diese Sicht teilt Barbara Stauber: «Die Medizin kann mir nicht mehr helfen.» Darum wolle sie die restliche Zeit zu Hause verbringen, umgeben von ihren Blumen und Bilder. Ihre Familie hat sie so in nächster Nähe, ihr Mann und auch die Tochter und die drei Enkel wohnen im selben Haus. Auch der Hund ist immer dabei – im Spital undenkbar.
Doch die Möglichkeit, zu Hause zu sterben, bleibt vielen Schwerstkranken verwehrt: 72 Prozent wollen, nur 30 Prozent ist dies möglich. Das Problem ist das fehlende Angebot von mobilen Teams in vielen Kantonen. Nur in wenigen kann die gesamte medizinische Betreuung zu Hause abgedeckt werden, vielerorts sind keine Ärzte involviert.
Es scheitert am Geld, wie Andreas Weber erklärt, der die Palliativ Care im Spital Wetzikon leitet und auch die Aufsicht über die mobilen Teams hat: «Rund ein Drittel der Kosten ist bei solchen Einsätzen von den normalen Tarifen nicht abgedeckt», gerade der ganze Koordinationsaufwand. Denn genauso unberechenbar wie die Krankheiten sei eben die Planung der Einsätze. Im Oberland haben sie eine Lösung gefunden: Die Gemeinden übernehmen dank einzeln ausgehandelter Leistungsverträgen die übrigen Kosten.
Rund ein Drittel der Kosten ist bei solchen Einsätzen von den normalen Tarifen nicht abgedeckt.
Neue Finanzierungsmodelle
Andernorts behelfe man sich mit Spenden, so Weber. «Wenn man immer dem Geld hinterherrennen muss, geht aber der Anreiz verloren, solche Angebote auszubauen.» Dabei sei die Betreuung zu Hause viel günstiger als ein Eintritt ins Spital. «Schon nur die Fahrt der Ambulanz ist teurer», so Weber. Ein Finanzierungsproblem kennen auch Palliative Care-Stationen, wie der Blick ins Inselspital in Bern zeigt: «Wir sind das schwarze Schaf im Spital», sagt der ärztliche Leiter des Palliativzentrums, Steffen Eychmüller. «Da wir im roten Bereich sind, erhalten wir auch keine Förderung für die Zukunft und können so den Patienten nicht anbieten, was wir mehr anbieten wollen.»
Jeder Mensch soll entscheiden können, wo er sein Lebensende verbringen will.
Hier setzt eine Ständeratsmotion an: Die Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit fordert, dass der Bund die gesetzlichen Rahmenbedingungen anpasst, um die Finanzierung für ein schweizweites Angebot zu gewährleisten. Schlussendlich hat Marina Carobbio, Kommissionssprecherin und Präsidentin des Verbands «palliative ch», ein grosses Ziel vor Augen: «Jeder Mensch soll entscheiden können, wo er sein Lebensende verbringen will, ob zu Hause, im Spital oder in spezialisierten Einrichtungen wie ein Hospiz.» Der Ständerat hat am Dienstag die Motion angenommen. Ein erster Schritt in die richtige Richtung.