Kein prächtiges Gebäude wie in Paris oder Rom – aber ein Friedhof der Könige. Damit ist aber nicht der Adel gemeint: Vielmehr wurden früher an diesem Ort Schützenfeste ausgetragen. Der beste Schütze wurde zum König. Deshalb trägt der Friedhof den Namen «Cimetière des Rois».
Der Ort wirkt wie ein kleiner Stadtpark mit Statuen mitten in der lauten Genfer Innenstadt. Die 84-jährige Quartierbewohnerin Claire Hillebrand kommt regelmässig hierher und grüsst die Dahingeschiedenen.
In Genf entscheidet die Stadtregierung, wer auf diesen Friedhof kommt. Die Dossiers landen auf dem Tisch von Sozialvorsteherin Christina Kitsos, die auch für die Friedhöfe zuständig ist. Für solche Gesuche gelten klare Anforderungen: «Die Person muss zur internationalen Ausstrahlung von Genf beigetragen haben, oder man muss mindestens zwei Amtszeiten der Genfer Stadtregierung angehört haben, damit man auf diesen Friedhof kommt.»
Berühmte Persönlichkeiten
Einer der berühmtesten der dort beigesetzten Persönlichkeiten ist der Reformator Jean Calvin. «Er wollte aus Genf eine Musterstadt machen und hat eine rigorose Disziplin eingeführt», heisst es auf einer kleinen Metallplatte vor dem Grab.
Eine Prägung, die man bis heute in Genf spüre, sagt Kitsos: «Es gibt immer noch dieses Gedankengut des Calvinismus, im Verhalten und den Lebensweisen.» Das finde man auch in Büchern wie «Belle du Seigneur» von Albert Cohen. «Es ist eine Art Genügsamkeit, das gleiche Kleid zu behalten und zu flicken, wenn es Risse hat. Nicht ins Café zu gehen, weil das ein unnötiges Vergnügen ist. Und strebsam zu sein.»
Vergrabene Kurtisane
Dass in Genf aber nicht nur eine streng protestantische Moral herrscht, zeigt ein anderes Grab nur 15 Meter entfernt von der Inschrift für Calvin. Unter einem runden Stein liegt Grisélidis Réal begraben – eine berühmte Prostituierte. Frische Rosen schmücken das Grab.
Für Christina Kitsos ist Réal auch international eine wichtige Vorkämpferin für die Rechte von Sexarbeiterinnen. In Genf gibt es auch ein internationales Dokumentationszentrum ihrer Berichte.
Nach Réals Tod 2005 hatte es die Stadtregierung zunächst abgelehnt, die Kurtisane auf dem Prominentenfriedhof zu begraben. Damals war die Stadtregierung der Ansicht, dass Real zu wenig zum Glanz von Genf beigetragen hat. Heute wird nicht mehr so oft kontrovers diskutiert.
Zuletzt wurde Pierre Muller, ein früherer Stadtpräsident von Genf, auf dem «Cimetière des Rois» begraben. Das wohl meistbesuchte Grab ist aber jenes von Jorge Luis Borges, dem berühmten argentinischen Schriftsteller, der 1986 in Genf verstarb. Vor dem Grabstein liegen Kugelschreiber, Vasen und eine Holzschachtel.
Der «Cimetière des Rois» ist Ruhestätte für eine enorme Vielfalt an Persönlichkeiten. «Es zeigt, dass Genf eine offene Stadt ist, in der viele Ideen zusammenkommen. Genf ist schon aufgrund der Geschichte eine Weltstadt. Und das sieht man auch auf diesem Friedhof», sagt Kitsos.
Für die Besucherin Claire Hillebrand macht diese Internationalität vor allem auch den Stolz der Stadt Genf aus: «Stolz sind wir auf Institutionen wie das Rote Kreuz oder dass hier Regisseure, Künstler und Schriftsteller begraben sind.» Hier könne man durchatmen, sagt die 84-Jährige, und spaziert weiter, im Genfer Panthéon.