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Parteipräsidenten im Fokus Ist der «bürgerliche Schulterschluss» bereits Geschichte?

Ob Unternehmenssteuerreform III, Altersreform 2020 oder Europa-Politik: Die bürgerlichen Parteien tun sich bei Sachthemen schwer, einen gemeinsamen Nenner zu finden – ganz zur Freude der Sozialdemokraten.

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Das Thema: Was hat der Bevölkerung die erste Legislatur-Hälfte gebracht? Wer trägt die Verantwortung für die verlorene Abstimmung zur Unternehmenssteuerreform III? In welche Richtung bewegt sich das Land in der Europa-Frage und konnte der viel beschworene «bürgerliche Schulterschluss» seine Wirkung entfalten?

Der Rechtsrutsch: Während der National- und Ständeratswahlen hat sich bei den Stimmbürgern ein Slogan ins Gedächtnis gebrannt: der «bürgerliche Schulterschluss». Als die SVP und FDP am 18. Oktober 2015 den Wahlsieg davontrugen, war die Euphorie dort gross. Wirtschaftsvertreter und das bürgerliche Lager träumten davon, die nationale Politik nach ihren Vorstellungen auszugestalten.

Zwei Jahre später scheint von diesem Traum nicht mehr viel übrig zu sein – zumindest entsteht dieser Eindruck, wenn FDP-Präsidentin Petra Gössi spricht. Sie will den «bürgerlichen Schulterschluss» jetzt vor allem in finanzpolitischen Fragen verstanden haben. Und: «Im Ständerat sind die Mehrheiten SP und CVP – also nicht bürgerlich».

Auch CVP-Präsident Gerhard Pfister will vom Rechtsrutsch nichts wissen. «In der Schweiz gibt es wechselnde Mehrheiten zu wechselnden Themen», sagt er. SVP-Präsident Albert Rösti sieht keinen Anlass, innerhalb der bürgerlichen Allianz Zugeständnisse zu machen. Rösti: «Die Aufgabe der SVP ist es, rechte Positionen gemäss Wählerwillen durchzusetzen».

In der Schweiz gibt es wechselnde Mehrheiten zu wechselnden Themen.
Autor: Gerhard Pfister CVP-Präsident

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Für die Grünen-Präsidentin Regula Rytz ist der Fall klar. «Natürlich hat es einen Rechtsrutsch gegeben», sagt sie. SP-Präsident Christian Levrat sieht die Lage differenzierter: Die bürgerlichen Parteien würden ihre nichtfunktionierende Mitte-Rechts-Mehrheit im Parlament schönreden. Ausserdem habe der Stimmbürger den Bürgerlichen bei der Unternehmenssteuerreform III eine Lektion erteilt.

Unternehmenssteuerreform III: Martin Bäumle, scheidender Präsident der Grünliberalen, blickt selbstkritisch auf die verlorene Abstimmung zurück. «Wir konnten der Bevölkerung nicht erklären, was wir eigentlich wollten», sagt er. Darüber hinaus sei «der kleine Mann» nicht bereit gewesen, für Steuergeschenke an Grosskonzerne aufzukommen, sagt SVP-Präsident Albert Rösti und stellt sogleich den Zusammenhang zur Masseneinwanderungs-Initiative her: Warum solle der Stimmbürger für Steuererleichterungen an Unternehmen zustimmen, wenn diese zwei Monate zuvor einen Inländervorrang ablehnten. Grüne-Präsidentin Regula Rytz sagt dazu: «Die SVP macht bei dieser Steuerdumping-Politik mit und regt sich danach darüber auf, wenn ausländische Fachkräfte ins Land kommen».

Christian Levrat geht diese Analyse zu wenig weit. Die Stimmbürger hätten den massiven Abbau im Bildungs- und Gesundheitswesen bei der Vorlage zur Unternehmenssteuerreform nicht mittragen wollen. Überdies seien die Bürgerlichen mit ihrer «Masslosigkeit» für die Niederlage an der Urne selbst verantwortlich. «Ich habe in den Kommissionen selbst erlebt, wie sich die Bürgerlichen mit Steuererleichterungsvorschlägen überboten haben», sagt Levrat.

Ich habe in den Kommissionen selbst erlebt, wie sich die Bürgerlichen mit Steuererleichterungsvorschlägen überboten haben.
Autor: Christian Levrat SP-Präsident

Altersreform 2020: CVP-Präsident Gerhard Pfister teilt Levrats Sicht. Deshalb habe seine Partei die begangenen Fehler im Hinblick auf die Abstimmung zur Altersreform 2020 korrigiert: «Wir bringen eine Altersreform beim Volk nur durch, wenn wir dafür einen Ausgleich schaffen». Die zusätzlichen 70 Franken seien dieser Anreiz. BDP-Vizepräsident Lorenz Hess wirbt ebenfalls eindringlich dafür, die Vorlage anzunehmen. Hess: «Sonst haben wir ein Debakel».

Bei der Altersreform 2020 wurde ein linkes Parteiprogramm durchgesetzt.
Autor: Petra Gössi FDP-Präsidentin

Doch die «bürgerliche Allianz» bröckelt bei der Reform zur Altersvorsorge. FDP-Präsidentin Petra Gössi sagt dazu, ihre Partei strebe weder indirekte Rentenkürzungen noch ein Rentenalter 70 an. Hingegen werde mit der Erhöhung der AHV-Renten eine Zweiklassengesellschaft von Rentnern geschaffen. Ihr Fazit: «Bei der Altersreform 2020 wurde ein linkes Parteiprogramm durchgesetzt.»

SP-Präsident Christian Levrat weist diesen Vorwurf von sich. «Ich habe keine Freude an der Senkung des Umwandlungssatzes und ich habe auch keine Freude an der Erhöhung des Frauen-Rentenalters. Mit einem klugen Kompromiss konnten wir das aber kompensieren».

Europa-Politik: Einen vollends gespaltenen Eindruck hinterlassen die bürgerlichen Parteien beim Thema Personenfreizügigkeit. Die Aktion für eine unabhängige und neutrale Schweiz (Auns) will sich von der Personenfreizügigkeit lossagen – und stellt dafür drei mögliche Kündigungsinitiativen zur Debatte.

SVP-Präsident Albert Rösti will sich zwar nicht festlegen, welche der vorgelegten Varianten seine Partei bevorzugt, doch die Haltung der SVP ist klar: «Wir wollen die Personenfreizügigkeit als Prinzip nicht mehr. Wir müssen die Zuwanderung selbst steuern. Und wir lassen uns nicht darauf ein, eine simple Kündigungsinitiative zu lancieren, nur damit diese jemand durch die Hintertüre wieder einführt».

Lorenz Hess von der BDP findet diese Strategie dem Volk gegenüber unehrlich: «Wenn schon, müssen wir das Volk fragen: Wollen wir die Bilateralen noch? Ja oder Nein?».

Wir wollen die Personenfreizügigkeit als Prinzip nicht mehr. Wir müssen die Zuwanderung selbst steuern.
Autor: Albert Rösti SVP-Präsident

Martin Bäumle verfolgt einen anderen Ansatz: Das Land müsse die bilateralen Verträge mit der EU weiterentwickeln. «Dafür müssen wir über ein Rahmenabkommen diskutieren», sagt Bäumle. Für CVP-Präsident Gerhard Pfister und SVP-Präsident Albert Rösti steht fest: Das Stimmvolk würde einem solchen Abkommen eine Abfuhr erteilen.

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