Als Spitzenathlet Nino Schurter im Sommer seinen 9. WM-Titel eingefahren hat, richteten sich die Augen der Velo-Fachleute auch auf sein Bike: vollgefedert, doch die Hinterbaudämpfer im Innern des Carbonrahmens angebracht.
«Eine der neuesten Entwicklung», sagt Dominic Elsaesser, Chef der Rechtsabteilung des Veloherstellers Scott Sports. Es ist zwar eine der neuesten technischen Erfindungen des Veloherstellers, aber nicht die einzige.
Rund 30 Patente besitzt das Unternehmen – je nach Fahrradtyp sind gleich mehrere Patente am gleichen Bike verbaut. «30 Patente sind eigentlich wenig», sagt Elsaesser.
Patente sind mehr als ein Rechtstitel
Das Unternehmen hat seinen Hauptsitz in Givisiez im Kanton Freiburg. Dort beschäftigt Scott rund 350 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, davon rund 50 Ingenieure. Weltweit sind es rund 1000 Mitarbeitende. In Givisiez wird geforscht und entwickelt.
Es gibt im Bereich Elektronik und im Bereich Software Entwicklungen, deren Verletzung man Dritten nicht nachweisen kann.
Doch längst nicht alle Erfindungen werden patentiert. Das Unternehmen wägt vor der Patentanmeldung Kosten und Nutzen ab. Zudem lässt Scott Sport prüfen, ob sich ein Patent denn überhaupt durchsetzen liesse. «Es gibt im Bereich Elektronik und im Bereich Software Entwicklungen, deren Verletzung man Dritten nicht nachweisen kann», erklärt Patentanwalt Philipp Rüfenacht, Partner bei der Berner Kanzlei Keller Schneider.
Die Patentierung von solchen Entwicklungen sei darum keine gute Idee. Denn: Ein Patent schützt zwar eine Entwicklung, zugleich wird sie aber öffentlich. Patente sind darum mehr als ein Rechtstitel. Sie sind zugleich Dokumente des technischen Fortschritts. Ein Patent gilt maximal 20 Jahre. Anschliessend darf die Erfindung auch von Dritten kostenlos angewendet werden.
Schweiz ist Spitzenreiter in Sachen Innovation
In einem Vergleich des Europäischen Patentamts schwingt die Schweiz als erfindungsreichstes Land Europas pro Million Einwohner oben aus. Die Zahl liegt bei 966 Patentanmeldungen. Der europäische Durchschnitt liegt bei 146 Anmeldungen pro Million Einwohner.
Die Ursache für die eifrigen Patentanmeldungen sehen Expertinnen und Experten in den wirtschaftlichen Strukturen. Die Schweiz als rohstoffarmes Land setzt auf Innovation. Das war nicht immer so. Bis gegen Ende des 19. Jahrhunderts galten Patente in der Schweiz als wettbewerbsbehindernd. Erst mit der Entwicklung der Industrie und der Pharmabranche kam der Sinneswandel.
Historikerinnen sehen darin ein typisches Muster: Je erfolgreicher Branchen werden, desto eher setzen sie auf Patentschutz. Beispiele für dieses Muster lassen sich derzeit auch in China finden, im Bereich von Spitzentechnologien.
Zu den bekanntesten Errungenschaften des Schweizer Erfindergeistes zählen zum Beispiel die künstliche Herstellung von Vitamin C, Valium, aber auch der Klettverschluss, das Sackmesser und die Knoblauchpresse.
Wer ein Patent für die Schweiz anmelden will, klopft entweder in der Schweiz beim Eidgenössischen Institut für Geistiges Eigentum (IGE) an oder beim Europäischen Patentamt (EPA). Das IGE in der Schweiz ist nicht nur Anlaufstelle für Erfinder, sondern das Amt berät auch Bundesrat und Parlament in allen Fragen des geistigen Eigentums.
Beim Europäischen Patentamt sind Anmeldungen für 38 Länder möglich. Erteilt die Behörde grünes Licht, ist das Patent aber nicht automatisch in allen Ländern gültig, sondern die Erfinder müssen Länder auswählen.
Eine Revision hin zu einem «Einheitspatent» wird politisch diskutiert. Das EPA hat auf ihrer Webseite angekündigt, wann der Start des neuen einheitlichen Patentsystems erwartet werden kann. Stand jetzt rechnet es mit einem Start ab der zweiten Hälfte des Jahres 2022.
Seit Anfang dabei
Die Schweiz gehörte 1977 zu den Gründungsmitgliedern des Europäischen Patentamts und ist im Aufsichtsorgan der Organisation vertreten. Die Behörde prüft den Stand der Technik, denn im Sinne des Patentrechts können nur Entwicklungen geschützt werden, die neu sind und gewerblich angewendet werden können.
Ist eine Erfindung mit einem Patent schützenswert, bezahlen Unternehmen jährlich Gebühren. Die Gebühren variieren und hängen auch mit industriepolitischen Strategien der Länder zusammen.
Lieber reden statt klagen
Bei einer Verletzung des Patents verfolgen die Erfinder unterschiedliche Strategien. «Wir suchen immer zuerst das Gespräch und eine einvernehmliche Lösung», so Dominic Elsaesser von Scott.
In den meisten Fällen sei das ein erfolgreiches Vorgehen. Denn viel lieber statt mit Rechtsfällen beschäftigen sich die Veloprofis mit neuen, technologischen Entwicklungen.