Eine alternde Bevölkerung, Rekrutierungsprobleme, Berufsaustritte – in der Schweiz herrscht Pflegenotstand, beklagt der Berufsverband der Pflegefachfrauen und -männer – und hat die Volksinitiative «Für eine starke Pflege» lanciert.
Diese fordert mehr Pflegepersonal und die Sicherung der Qualität in der Pflege. Auch im Nationalrat war der Handlungsbedarf weitgehend unbestritten: der Beruf soll aufgewertet werden. Wie das geschehen soll, ist aber umstritten.
Die Gesundheitskommission des Nationalrates will das Begehren mit einem indirekten Gegenvorschlag umsetzen. Über diesen werden die Räte am Dienstag befinden. Angesichts der Voten in der auf sieben Stunden angesetzten Debatte wurde eines klar: Die Initiative dürfte es schwer haben.
Lange Zeit konnten sich die Institutionen darauf verlassen, Pflegekräfte as dem Ausland zu rekrutieren. Das geht nicht mehr so einfach – was auch richtig ist.
«Von einem Pflegenotstand zu sprechen ist nach den gebetsmühlenartigen Wiederholungen des sogenannten Klimanotstands sehr eingängig, aber nicht wahr»: Die Thurgauer SVP-Nationalrätin Verena Herzog stellte eingangs der Debatte einen Mangel an Pflegefachpersonen in Abrede.
«Zynisch», befand Manuela Weichelt-Picard (Grüne/ZG). «Schon heute herrscht Pflegenotstand – bis 2030 wird es noch schlimmer.»
Im Grundsatz herrschte aber Einigkeit im Rat: Die Menschen in der Schweiz werden immer älter, und mit dem Alter steigt das Risiko, wegen chronischer Leiden pflegebedürftig zu werden. Doch es gibt zu wenig Pflegefachleute, eine Ausbildungsoffensive ist angezeigt.
«Lange Zeit konnten sich die Institutionen darauf verlassen, Pflegekräfte aus dem Ausland zu rekrutieren. Das geht nicht mehr so einfach – was auch richtig ist», sagte Kommissionssprecherin Ruth Humbel (CVP/AG).
Eine gute Pflege müsse gewährleistet werden, es gelte genügend Personal auszubilden. Dazu sei der Gegenwurf das richtige Mittel, fand Humbel. Neben der Ausbildungsoffensive sollen die Pflegenden Leistungen ohne ärztliche Anordnung erbringen können – gestützt auf Vereinbarungen mit den Versicherern.
Der Beruf hat im Krankenversicherungsgesetz noch immer den Status eines Hilfsberufs.
Als Dozent an Fachhochschulen kenne er die Anliegen der angehenden Pflegefachleute, sagte Christian Lohr (CVP/TG) namens der Minderheit. Die Quote von etwa 45 Prozent an Austritten aus dem Pflegeberuf sei alarmierend. Wenn Menschen künftig fair, gerecht und empathievoll gepflegt werden sollten, müsse der fordernde Beruf attraktiver gemacht werden.
In der Schweiz werde weniger als die Hälfte der nötigen diplomierten Pflegefachpersonen ausgebildet, doppelte Barbara Gysi (SP/SG) nach.
Die von der Initiative verlangte Kompetenz, Pflegeleistungen eigenständig abzurechnen sei nötig: «Der Beruf hat im Krankenversicherungsgesetz noch immer den Status eines Hilfsberufs.»
Verfassungsbestimmungen für eine einzelne Branche sind für SVP, FDP, GLP sowie die Mehrheit der Mitte-Fraktion nicht angezeigt.
Für die bürgerliche Mehrheit ist die Initiative nicht der richtige Weg. Auch in anderen Branchen, etwa bei Ingenieuren oder auf dem Bau, gebe es einen Mangel an Fachkräften, argumentierte sie.
Die Mehrheit stört sich an der verlangten Kompetenz für Pflegende, Leistungen eigenständig mit den Krankenkassen abzurechnen: «Das würde sich auf die Prämien negativ auswirken», warnte Thomas de Courten (SVP/BL).