Am Anfang war Simon Wälchli – der Pfarrei-Jugendarbeiter aus dem aargauischen Gebenstorf. Er hat den Spruch, dass die in Bern am Volk vorbeipolitisieren würden, schon oft gehört. Was stört denn die Stimmberechtigten in der Schweiz an den Politikerinnen und Politikern?
Als treuer Hörer des SRF-Podcasts «Einfach Politik» gab er die Frage via Whatsapp-Sprachnachricht an die Redaktion weiter. Und die machte sich auf die Suche nach Antworten mit Aufrufen via Internet, soziale Medien und im Radio. Die Redaktion konfrontierte Politiker von links bis rechts und den Politgeografen Michael Hermann mit vier Aussagen unserer Hörer.
«Die Politiker sind Marionetten der Wirtschaft»
Antworten wie diese kamen am häufigsten. Viele stören sich an den Verflechtungen von Wirtschaft und Politik. «Die Politiker schauen alle zuerst für sich. Werden vom Volk gewählt und arbeiten via Lobbys in den eigenen Sack!», schrieb etwa ein SRF-User in einem Facebook-Kommentar. Ihnen sind die Nationalrätinnen und Ständeräte zu fest mit Verbänden oder Firmen verbandelt. Und sie halten den Einfluss der Lobbys für zu gross.
Fragt man die Politiker, kommt von allen Seiten die gleiche Antwort: Die Verflechtung liege in der Natur der Sache. Die Schweiz habe eben kein Berufsparlament. «Und das ist auch gut so», sagt Corina Eichenberger, die für die FDP zwölf Jahre im Nationalrat sitzt und im Herbst aufhört. «Wir haben viel mehr Bodenhaftung als Berufsparlamentarier, weil wir daneben eben noch anderen Tätigkeiten nachgehen.»
Wir haben viel mehr Bodenhaftung als Berufsparlamentarier.
Und Adrian Amstutz, seit 16 Jahren im Bundesparlament, abtretender Berner SVP-Nationalrat und Präsident des Nutzfahrzeugverbandes Astag, ist stolz auf sein Amt bei den «Lastwägelern»: «Das sind die, die dafür sorgen, dass die Baustellen nicht stillstehen, die Tankstellen nicht trocken sind und die Regale im Laden nicht leer.» Für so einen Verband zu arbeiten sei sicher kein Problem.
Was aber viele Parlamentarier einräumen: In der Gesundheitspolitik sind die Verflechtungen besonders gross, vielleicht zu gross. Die Anti-Korruptions-Organisation «Transparency international» hat errechnet, dass die 38 Mitglieder der zuständigen Parlamentskommissionen zusammen 90 Interessenbindungen haben zu Unternehmen und Organisationen aus dem Bereich Gesundheits- und Sozialversicherungsbranche.
«Volksentscheide werden nicht umgesetzt»
Das Volk könne beschliessen, was es wolle, die Politiker foutierten sich darum – so lautete der zweithäufigste Vorwurf. Und es wurden auch Beispiele genannt: «Alpeninitiative, Zweitwohnungsinitiative, Masseneinwanderungsinitiative», zählte eine Hörerin in einer Sprachnachricht auf. Nationalrätin Eichenberger kann die pauschale Kritik so nicht gelten lassen, räumt aber ein, bei der besonders schwierigen Masseneinwanderungsinitiative sei die Umsetzung «nicht besonders gut gelungen.»
Das gehört zur Schweizer Politik: Das Volk sagt ja zu einer Initiative, umsetzen muss das Anliegen dann aber das Parlament und dabei möglichst viele Meinungen berücksichtigen.
SP-Ständerat Claude Janiak, der nach 20 Jahren Parlamentsarbeit im Herbst ebenfalls aufhört, findet nicht, dass hier das Parlament einfach gemacht habe, was es wolle. «Das gehört zur Schweizer Politik: Das Volk sagt ja zu einer Initiative, umsetzen muss das Anliegen dann aber das Parlament und dabei möglichst viele Meinungen berücksichtigen».
Auch Politgeograf Michael Hermann relativiert. Initiativen umsetzen sei eine schwierige Angelegenheit, aber es sei im System so gewollt, dass das Parlament dabei einen gewissen Spielraum habe. «Das Volk will keine Parlamentarier, die sozusagen mit der Pistole im Nacken entscheiden – das sah man beim Nein zur Durchsetzungsinitiative der SVP», sagt Hermann.
«Die reden nur und machen nichts»
Auf Platz 3 bei den Kommentaren zum Thema «Die da oben» sind Meinungen wie diese: dass vieles angekündigt und besprochen, dann aber nicht in die Tat umgesetzt werde. «Viele Versprechen, wenig umsetzen», heisst es in einem Facebook-Kommentar. FDP-Frau Corina Eichenberger hat auch für diese Aussage ein gewisses Verständnis, es liege an unserem System, wie in der Schweiz Politik gemacht werde: «Das ist ein ganz gründliches Verfahren. Der Nachteil ist, dass dadurch die Mühlen in Bern halt sehr langsam mahlen.»
Direkte Demokratie ist mehr, als nur den Stimmzettel ausfüllen und sich dann darüber aufregen, was dabei herauskommt.
Eichenberger spielt damit auch auf das Zweikammersystem an. Dieses führt dazu, dass an den gleichen Gesetzen abwechselnd in National- und Ständerat gefeilscht wird – bis zu dreimal hin und her können die Vorlagen gehen. Das dauert seine Zeit und kann den Eindruck wecken, man rede nur und entscheide nie.
«Wir können zufrieden sein»
Bei allem Unmut gegenüber der Politik: Studien zeigen, dass, was ein Mann in einer Strassenumfrage ins Mikrofon sagte, sogar die Mehrheitsmeinung ist: «Wir können zufrieden sein mit unseren Politikern».
Vergleicht man die Resultate der Volksabstimmungen seit dem Zweiten Weltkrieg mit den Ergebnissen zum jeweils selben Thema im Parlament, wie das Politologen der Uni Bern gemacht haben, zeigt sich: Der Graben zwischen Politikern und Volk wurde stets schmaler, eine Trendwende ist nicht in Sicht. Und im internationalen Vergleich steht die Schweiz punkto Zufriedenheit mit der Demokratie an der Spitze.
Simon Wälchli, der den Anstoss gab fürs Thema, hat zum Schluss noch einen Rat für alle, die sich über die Politik und die Politikerinnen aufregen. Sie sollen sich einbringen, so wie man das in der Schweizer Politik ja eben könne: «Direkte Demokratie ist mehr, als nur den Stimmzettel ausfüllen und sich dann darüber aufregen, was dabei herauskommt.»