«Fakt ist: Der Druck steigt.» Lelia Hunziker meint damit den Druck auf die Sexarbeiterinnen auf dem Strassenstrich im Zürcher Langstrassenquartier. Die SP-Politikerin ist Geschäftsführerin der Fachstelle Frauenhandel und Frauenmigration und kennt die Situation an der Stadtzürcher Ausgangsmeile. Dort hätten sich die Preise für käuflichen Sex halbiert, mit gravierenden Folgen für die Sexarbeiterinnen.
Dieser Preisdruck führe nämlich dazu, «dass Prostituierte eher bereit sind, einen Kunden anzunehmen, der ihnen nicht sympathisch ist», sagt Hunziker. «Vielleicht bieten sie auch Dienstleistungen an, die sie nicht anbieten wollen. Oder es kann sein, dass sie ohne Kondom arbeiten, wenn die Kundschaft das so wünscht.»
Nicht nur in Zürich ist dieser Preiszerfall zu beobachten, sondern zum Beispiel auch in Luzern. Für Eliane Burkart, die mit dem Verein LISA Sexarbeiterinnen unterstützt, sind die Gründe dafür klar. «Das Angebot ist grösser als die Nachfrage. Und entsprechend ist auch die Verhandlungsmacht nicht mehr die gleiche wie früher.»
Oder anders gesagt: Heute sind wieder gleich viele Sexarbeiterinnen unterwegs wie vor der Corona-Pandemie. Dies zeigen Beobachtungen von Frauenorganisationen und Polizei. Die Freier hingegen fehlten auf der Strasse. Diese sähen sich vermehrt im Internet nach einer Frau um, die ihre Wünsche erfüllt, sagt Burkart. Das Sex-Business habe sich verändert.
Der digitale Graben im Sexgewerbe
«Es wurde einiges ins Private verschoben», sagt sie. «Häufig wird nun in einem Airbnb gearbeitet. Diese Einrichtungen werden wochenweise angemietet und dann wird dort Sexarbeit angeboten.» Danach würden die Prostituierten weiterziehen – in andere Städte, in andere Länder. Die Verliererinnen dieses Prozesses sind jene Sexarbeiterinnen, die Mühe haben mit dem digitalen Anwerben und darauf angewiesen sind, auf der Strasse ihre Kunden zu finden.
Entstanden ist so ein digitaler Graben im Schweizer Sexgewerbe. Denn: Jene Prostituierten, die ihre Dienste nicht im Internet anböten, sondern auf der Strasse nach Kunden suchten, spürten nicht nur das Fehlen der Freier, sondern auch den Druck der Polizei, sagt Lelia Hunziker. Repression durch die Polizei komme häufig vor.
«Die Prostituierten müssen dadurch schnell Entscheide fällen, können nicht ins Gespräch kommen mit der Kundschaft und so auch nicht abschätzen, ob es sich beim Kunden um jemanden handelt, von dem vielleicht Gefahr ausgeht.» Es entstehe so ein unwürdiges Katz-und-Maus-Spiel zwischen Polizei und Sexarbeiterin.
Diese Anschuldigung weist die Stadtpolizei Zürich zurück. Es sei ihre Aufgabe, das Sexgewerbe und somit Arbeits- und Aufenthaltsgenehmigung zu kontrollieren – sowohl auf der Strasse als auch im digitalen Raum.
Absprachen im Kampf gegen den Preiszerfall
Viele Sexarbeiterinnen und eine Verlagerung ins Internet führen also zum Preiszerfall auf dem Strassenstrich. Damit der Druck auf die Prostituierten nicht weiter zunimmt, ermutigt Eliane Burkart vom Verein LISA die Sexarbeiterinnen, die Preise untereinander abzusprechen. So soll der digitale Graben im Schweizer Rotlichtmilieu nicht weiter aufgehen.