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Problem Zweitwohnungen Wohnungsnot im Bergdorf – sind Einheimische schuld?

Die Situation in touristischen Bergdörfern spitzt sich zu. Einheimische finden keine Wohnungen mehr – ausser sie haben ein dickes Portemonnaie. Das liegt auch an einer Ausnahme im Zweitwohnungsgesetz: die Umnutzung von Erstwohnungen in Zweitwohnungen.

Die alleinerziehende Mutter Valerie Wagner lebt mit ihrem Sohn im Engadiner Dorf Bever und ist hier verwurzelt. Doch ihr Mietvertrag ist befristet. In drei Monaten muss sie aus der Wohnung, ohne Aussicht auf eine neue: «Ich suche seit mehr als einem Jahr. Es gibt nichts auf dem Markt.» Kein Wunder, die Leerwohnungsziffer in Bever beträgt null Prozent, das heisst akute Wohnungsnot.

Die Hälfte aller Wohnungen in Bever sind Zweitwohnungen für Unter- oder Ausländer. Die Einheimischen haben das Nachsehen. «Das löst manchmal schon Wut und Unverständnis aus», sagt Wagner.

Steigender Zweitwohnungsanteil trotz Gesetz

Seit der Annahme der Zweitwohnungsinitiative dürfen Gemeinden mit mehr als 20 Prozent Zweitwohnungen keine neuen mehr bewilligen. Das sind vor allem touristische Berggemeinden. Eine Auswertung der «Rundschau» zeigt aber: Der Zweitwohnungsanteil steigt in mehr als der Hälfte dieser Gemeinden trotzdem weiter an.

Auswertung

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Die Auswertung der «Rundschau» basiert auf offiziellen Zahlen des Bundes: Zweitwohnungsanteil ARE und Leerwohnungsziffer BFS.

Verglichen werden Zweitwohnungsanteile von März 2018 (erste konsolidierte Daten seit Annahme der Zweitwohnungsinitiative) und Oktober 2024 (aktuellste verfügbare Daten).

Steigender Zweitwohnungsanteil kann durch Umnutzung von Erstwohnungen zu Zweitwohnungen entstehen. Doch dazu beitragen können auch Umnutzungen eines Hotels oder neue touristisch bewirtschaftete Zweitwohnungen.

Sechs Zweitwohnungsgemeinden, die im Auswertungszeitraum fusionierten, wurden nicht in die Auswertung aufgenommen.

Wohnungen, die vor Annahme der Initiative gebaut worden waren, dürfen aber weiterhin zu Zweitwohnungen umgenutzt werden. Nicht zuletzt darum besteht in vielen Berggemeinden mit einer Leerwohnungsziffer von unter einem Prozent eine akute Wohnungsnot.

So auch auf der Riederalp VS. Der Zweitwohnungsanteil beträgt dort 88 Prozent, Tendenz steigend. Hier wohnt die fünfköpfige Familie Jagersberger in einer sehr kleinen Wohnung. Sie bräuchte dringend mehr Platz. «Die Häuser wurden überteuert verkauft an Zürcher, Berner oder Basler, die sich das leisten können», sagt Corinne Jagersberger.

Wohnungsnot in den Bergen

Gemeindepräsidentin Ursula Mathieu kann eine ganze Reihe weiterer Beispiele umgenutzter Wohnungen im Dorf aufzählen. Sie bestätigt den Ausverkauf. «Die Einheimischen sind selber schuld, jeder schaut auf sein Portemonnaie.»

Vorzeigebeispiel Flims 

Auch in Flims GR herrscht Wohnungsnot, auch hier nimmt der Zweitwohnungsanteil zu auf zuletzt 70 Prozent. Zweitwohnungsbesitzer Daniel Schwarzenbach kommt seit seiner Kindheit nach Flims, hat hier Skifahren gelernt. Er hat kein schlechtes Gewissen, den Einheimischen den Wohnraum wegzunehmen.

Schwarzenbach findet, «die Wertschätzung dürfte etwas grösser sein». Die Zweitwohnungsbesitzer brächten nämlich viel Wertschöpfung ins Dorf. Doch Schwarzenbach ist der Dialog mit den Einheimischen wichtig. Er engagiert sich in der «Interessensgemeinschaft Zweitheimische».

Flims hat eine Lösung für mehr Erstwohnraum gefunden, mit der auch Zweitwohnungsbesitzer Daniel Schwarzenbach zufrieden ist. Das Dorf gilt damit als Vorzeigegemeinde. Denn bei einem grossen Umbau oder einem Ersatzneubau darf nur noch die Hälfte Zweitwohnungen entstehen. Das hat die Bevölkerung vor etwas mehr als einem Jahr in einer Urnenabstimmung beschlossen.

Auch in anderen Bergdörfern gibt es ähnliche Bestrebungen, die Umnutzung von Erstwohnungen einzuschränken. Es gibt allerdings viel Gegenwind von Wohnungsbesitzern, die das als zu grossen Eingriff ins Eigentumsrecht empfinden.

Ein Funke Hoffnung

Valerie Wagner hat die Hoffnung aber noch nicht aufgegeben, in Bever GR eine Wohnung zu finden, damit ihr Sohn nicht aus seinem Umfeld herausgerissen wird. Sie hat 500 Bewerbungsflugblätter drucken und im Dorf verschicken lassen. «Es geht um alles oder nichts!»

Rundschau, 22.01.2025, 20:10 Uhr

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