Die Pandemie kann eine gesunde psychische Entwicklung junger Menschen beeinträchtigen. Dies hat die Unicef in einem Bericht festgestellt. Das gilt auch für die Schweiz, wie Dagmar Pauli, Psychiaterin und stellvertretende Klinikdirektorin der Kinder- und Jugendpsychiatrie Zürich, festhält. Wichtig sei, dass Eltern nicht in den Ratschlagmodus geraten, wenn sie merken, dass es ihrem Kind psychisch nicht gut geht.
SRF News: Wie hat sich die Pandemie auf die psychische Gesundheit der Jugendlichen ausgewirkt?
Dagmar Pauli: Wir sehen ganz grosse negative Auswirkungen der Coronapandemie auf junge Menschen, das ist in der Schweiz auch so. Gerade in dieser Altersgruppe hat sich Corona besonders stark ausgewirkt. Die Heranwachsenden sind in einem Alter, in dem man sich mehr nach aussen wenden möchte. Man wird unabhängig vom Elternhaus, will die Welt entdecken. Beziehungen zu Gleichaltrigen werden immer wichtiger. Häufig ist es die abenteuerliche Zeit im Leben.
So wirkt sich die Pandemie auf Kinder und Jugendliche aus
Jetzt wurden die Jugendlichen richtig ausgebremst. Viele konnten wichtige Erfahrungen nicht machen. Ich denke da an die 18. Geburtstagsfeier, Schulabschlussfeier, Auslandsaufenthalt, die erste Reise alleine und so weiter. Und das hat vielen aufs Gemüt geschlagen.
Gibt es mehr Fälle?
Ja. Wir beobachten, dass ein Anstieg von Anmeldungen psychisch kranker Kinder und Jugendlicher stattgefunden hat und weiter stattfindet, auch bei den Notfällen. Daher kann ich bestätigen, was die Studie herausgefunden hat. Gegen einen selbst gerichtete Probleme wie Depression, Selbstverletzung, Suizidalität haben stark zugenommen.
Es gibt Jugendliche, die vor dem Lockdown schon ängstlich waren. Jetzt können sie ihre Angst nicht mehr überwinden.
Jugendliche, die auch vorher schon nicht so ein gutes Selbstwertgefühl hatten, die vielleicht ängstlich waren, eher schon ein bisschen dazu tendiert haben, sich zurückzuziehen, sind dann durch dieses Zurückwerfen durch die Coronasituation noch stärker beeinträchtigt und dann häufig auch psychisch krank geworden. Es gibt Jugendliche, die vor dem Lockdown schon ängstlich waren, und jetzt können sie ihre Angst nicht mehr überwinden. Dann kommt es zu Schulabsentismus. Viele konnten sich gar nicht mehr überwinden, zur Schule zu gehen.
Meistens leben die betroffenen Kinder und Jugendlichen bei ihren Eltern. Was sollen sie tun, wenn sie depressives Verhalten erkennen?
In Familien, die Schwierigkeiten mit den heranwachsenden Jugendlichen haben, kann man sich in der Regel gegenseitig ausweichen. Die Jugendlichen gehen mehr raus, können Probleme, die sie mit den Eltern nicht besprechen können, mit Gleichaltrigen besprechen. Doch das alles fiel während der Pandemie weg. Das heisst: Besonders belastet sind die Familien, in denen sowieso schon viele Konflikte stattgefunden haben.
Oft geht man als erwachsener Mensch zu schnell in den Ratschlagmodus über: ‹Ja, mach doch mal, du musst halt mehr...›
Wir müssen diese Familien unterstützen. Doch wie kann man als Eltern damit umgehen, wenn sich Jugendliche zurückziehen und weniger Lebensfreude haben? Das Erste ist, zuzuhören, ins Gespräch zu kommen, festzustellen, was los ist. Dann kann man vorsichtig versuchen, sie zu ermutigen, sich wieder mehr nach aussen zu wenden.
Oft geht man zu schnell in den Ratschlagmodus über: «Ja, mach doch mal, du musst halt mehr...» Wenn wir sehen, dass sie wirklich stecken bleiben, sollte man mit den Jugendlichen zusammen in eine Beratungsstelle gehen oder fachliche Hilfe beiziehen.
Das Gespräch führte Isabelle Maissen.