Alain di Gallo ist Klinik-Direktor in der Kinder- und Jugendpsychiatrie an der Uniklinik Basel. Er geht davon aus, dass die Pandemie einen grossen Einfluss auf das psychische Wohl von Kindern und Jugendlichen hat.
Die Kinder spüren das Umfeld, das belastet ist. Sie reagieren nicht selten mit eigenen Symptomen.
Auch Susanne Walitza von der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich sorgt sich: «Wir sehen keine Entspannung.» Im Vergleich zu 2019 hat ihr Team knapp 60 Prozent mehr Konsultationen und knapp 80 Prozent mehr Telefonate geführt. Und: Im laufenden Jahr waren nochmals mehr junge Menschen in Not als 2020.
Mehr Depressionen und Suizid-Gefährdete
Konkret sehen die Fachleute mehr depressive Symptome, einschliesslich Suizidalität, Schlafstörungen, Ängste und Zwangserkrankungen. Kinder- und Jugendpsychiater Alain di Gallo sagt dazu: «Die Kinder spüren das Umfeld, das belastet ist. Und Kinder reagieren sehr stark auf ein beunruhigtes Umfeld, nicht selten mit eigenen Symptomen.»
Wir sehen, dass es den Jugendlichen schlechter geht. Das muss aus meiner Sicht auf die Agenda.
Kinder reagierten vermehrt verhaltensauffällig, werden etwa aggressiv oder hyperaktiv. Bei Jugendlichen stellen die Fachleute eher Depressionen, Suizidalität, Ängste oder Ess-Störungen fest.
Zu wenig Therapieplätze und Fachleute
In der Schweizer Kinder- und Jugendpsychiatrie war das Therapie-Angebot vor der Pandemie schon knapp. Nun haben sich die Wartezeiten nochmals verlängert. Die Fachleute ziehen die akuten Fälle vor und fangen zusammen mit Beratungsstellen auf, was geht.
In der psychischen Gesundheit rächt sich eine aufgeschobene Behandlung mit einer Verschlechterung des Zustandes der Betroffenen. Das hat eine längere Behandlung zur Folge, was sich wiederum auf wartende Kinder und Jugendliche auswirkt.
Mehr Mittel für die psychische Gesundheit
Deshalb kommt in Zürich Klinik-Direktorin Walitza zum Schluss: «Wir sehen, dass es den Jugendlichen schlechter geht. Das muss aus meiner Sicht auf die Agenda.» Sie denkt an die Fakten, aber auch an Sensibilisierung und präventive Massnahmen.
Bei der Stiftung Pro Mente Sana verliert Leiter Roger Staub allmählich die Geduld: «Wir müssten mehr tun als nur kranke Leute behandeln, man muss dafür sorgen, dass nicht noch mehr Leute krank werden. Wir verlangen eine Investition in die Prävention, in die Gesundheits-Förderung, in die Früherkennung und auch in die Therapie.»
Mit jedem investierten Präventions-Franken für die psychische Gesundheit liessen sich Gesundheits-Kosten von fünf Franken einsparen, ist Staub überzeugt.
Nächste Woche will das Bundesamt für Gesundheit zum Thema psychische Gesundheit sensibilisieren – mit verschiedenen Beiträgen auf Instagram. Angesichts der Situation in den Kinder- und Jugendpsychiatrien reicht das den Fachleuten nicht.