Freundschaften tragen uns durchs Leben. Wie sie sich wandeln und wie wir sie am besten pflegen, weiss Experte Moritz Daum.
Moritz Daum
Entwicklungspsychologe
SRF News: Eine Studie des Gottlieb Duttweiler Institutes hat gezeigt, dass junge Menschen mehr Freundschaften als ältere Menschen haben und sich trotzdem einsamer fühlen. Wieso das?
Moritz Daum: Im jungen Alter bildet man seine eigene Identität, ist ständig auf der Suche nach dem «Wer bin ich» und nach neuen Freunden. In dieser Zeit verändert sich entsprechend viel und damit auch das Umfeld und so der Freundeskreis. Wird man älter, festigt sich die eigene Identität und damit auch der Freundeskreis.
Zudem ist Gegenseitigkeit entscheidend.
Dann hat man eine kleinere Zahl enger, guter Freunde, auf die man sich verlassen kann. Bei Jüngeren besteht trotz vieler Freunde vielleicht eine gewisse Einsamkeit, weil die Freundschaften im Vergleich noch etwas oberflächlicher sind und durch die Veränderungen noch eher wechseln.
Was zeichnet eine echte, gute Freundschaft aus?
Die basiert auf Vertrauen und Verlässlichkeit. Ich habe eine enge Beziehung zu einer anderen Person, wenn ich ihr vertraue und umgekehrt. Ich muss dieser Person etwas im Vertrauen erzählen können und wissen, dass sie das nicht weitererzählt. Zudem ist Gegenseitigkeit entscheidend.
Kann man gut befreundet sein und sich gleichzeitig nur alle fünf Monate physisch sehen?
Zum Aufbauen einer Freundschaft ist häufiger Kontakt sicher förderlich. Vertrauen aufzubauen, braucht Zeit. Aber wenn mal eine enge Freundschaft besteht, dann ist es nicht so, dass sie zwingend schlechter wird, wenn man sich mal längere Zeit nicht sieht.
Ein guter Freund akzeptiert und respektiert diesen Wunsch.
Zudem hat man heute die Möglichkeit, sich digital zu sehen. Doch selbst wenn das nicht möglich ist, hat man eine gute Basis, die so schnell nicht verloren geht. Es kann also durchaus funktionieren.
Darf es in engen Freundschaften Tabuthemen geben?
Das ist sehr individuell. Wichtig ist, dass es besprochen werden kann und dass man sagen kann: Ich möchte nicht über dieses Thema sprechen. Ein guter Freund oder eine gute Freundin akzeptiert und respektiert diesen Wunsch. Also müssen Tabuthemen nicht grundsätzlich ein Problem sein.
Was ist ein No-Go in einer Freundschaft?
Ein Vertrauensbruch, das Ende der Gegenseitigkeit oder der Verlust des Respektes. Das sind dann vielleicht nicht nur No-Gos, sondern auch das Ende der Freundschaft.
Was sind toxische Freundschaften?
Wenn sich die Freundschaft negativ auf mich auswirkt und ich irgendwie Schaden nehme. Oft ist das der Fall, wenn die Freundschaft einseitig wird, ich mehr in die Freundschaft investiere oder das Gegenüber mich manipulieren möchte.
Diese Ausschliesslichkeit ist bei Freundschaften nicht gegeben.
Was können Partnerschaften, was Freundschaften nicht können?
Bei einer Partnerschaft kommt immer noch sexuelle Intimität dazu, und sie ist meist ausschliesslich. Diese Ausschliesslichkeit ist bei Freundschaften nicht gegeben. In Freundschaften gibt es weniger Erwartungen an gemeinsame Lebenspläne, was mehr Spielraum für individuelle Entwicklung gibt.
Was raten sie, wenn sich die beste Freundin plötzlich von einem abwendet?
Ich würde versuchen, das zu thematisieren. Was ist der Grund? Kann man diesen Grund noch in irgendeiner Form ändern? Wenn ja, sollte man versuchen, aufeinander zuzugehen. Wichtig ist auch die Selbstreflexion: Was ist mein eigener Beitrag zu dieser Entwicklung?
Aber manchmal muss man eine solche Veränderung akzeptieren. Der Mensch entwickelt und verändert sich ein Leben lang, und das kann auch Freundschaften beeinflussen.
Das Gespräch führte Patrick Vigini.
