Wie in Russland und anderen Ländern sammelten auch in der Schweiz kritische Russinnen und Russen Unterschriften für die Kandidatur des Oppositionskandidaten Boris Nadeschdin gegen Wladimir Putin.
Dessen Wiederwahl gilt als gesichert. Es ist keine echte Wahl. Trotzdem entwickelte sich das Unterschreiben für Nadeschdin zu einem Phänomen, mit dem die Russinnen und Russen ihren Unmut ausdrücken.
Oleg Nenaschew hat die Unterschriftensammlung in der Schweiz organisiert. Der Russe, der seit 2016 in der Schweiz lebt, erzählt im Gespräch mit SWI swissinfo.ch, was er sich davon erhofft.
SWI swissinfo.ch: Sehen Sie Ihre Aktion als eine Form des Protests?
Oleg Nenaschew: Ja, das ist sie. Eine Unterschrift für einen Antikriegskandidaten ist eine der wenigen Formen der freien Meinungsäusserung, die in Russland noch möglich ist.
Unterschriften aus dem Ausland sind Unterschriften von potenziellen «ausländischen Agenten», weshalb sie Boris Nadeschdin nicht einreicht, um den Behörden keinen weiteren Grund zur Ablehnung zu geben. Aus Sicht des Regimes gelten alle, die im Ausland leben, als unzuverlässig, weil sie «ausländischem Einfluss ausgesetzt sind».
Die russische Diaspora hielt es daher zunächst für sinnlos, im Ausland zu sammeln. Aber nach dem Ruck in Russlands Zivilgesellschaft haben wir uns doch organisiert.
Für viele war eine Unterschrift für Nadeschdin die erste politische Aktivität in ihrem Leben.
Die Unterschriften aus dem Ausland werden nach Russland geschickt und nicht gezählt. Was bringt das Unterschreiben dann?
Sie sehen, dass sie nicht allein sind. Für viele war eine Unterschrift für Nadeschdin die erste politische Aktivität in ihrem Leben. Viele unterschreiben nicht für Nadeschdin, sondern gegen Putin.
Ich betrachte die bevorstehende «Prozedur» nicht als echte Wahl. Aber die Unterschriftensammlungen beschäftigen den Staatsapparat, was ihn vom Krieg in der Ukraine ablenkt.
Es geht gar nicht ums Gewinnen dieser Wahl?
In einem autoritären System wie Russland will das Regime mit solchen «Wahlen» seine Legitimität möglichst ohne Widerspruch bestätigen. Jede Aktion, die das öffentlich untergräbt, ist nützlich.
Haben Sie keine Angst, dass Ihr Engagement Auswirkungen auf Ihre Verwandten in Russland haben könnte?
Alle, die sich engagieren, beantworten diese Frage für sich selbst. Fast alle meine Verwandten unterstützen den Krieg. Ich habe meine Position gleich zu Kriegsbeginn deutlich gemacht und angeboten, dass sie zu ihrem eigenen Schutz den Kontakt abbrechen. Viele von ihnen haben das getan.
Wie hat Ihr Leben in der Schweiz Ihre Sicht auf Russland verändert?
Ich fühle mich in dieser Gesellschaft viel wohler. Ich geniesse es, mich politisch zu engagieren. Im letzten Herbst konnte ich, wie es Ausländerinnen und Ausländern im Kanton Neuenburg erlaubt ist, in meiner Gemeinde wählen. Das waren meine ersten echten Wahlen.
Das Gespräch führte Igor Petrov, swissinfo.ch.