Spätestens seit der letzte Marlboro-Mann an Lungenkrebs gestorben ist, ist die Mär vom sorgenfreien Genuss vorbei: «Rauchen ist tödlich», lässt die Tabakindustrie ihre Schweizer Kunden (nicht ganz freiwillig) wissen. Im grenznahen Ausland wird mittlerweile auch der Weg ins Jenseits illustriert – Fragen lassen die Schockbilder auf den Zigarettenschachteln keine offen.
Der Ruf ist ruiniert, die mächtigen Multis haben sich auf klandestine Lobby-Arbeit verlegt. Ihren letzten Erfolg feierten sie in der Sommersession: Der Ständerat will das neue Tabakproduktegesetz an den Bundesrat zurückweisen; und erteilte damit weitreichenden Werbeverboten eine Absage.
Heute nahm sich der Nationalrat der stark absturzgefährdeten Vorlage an – und eine bürgerliche Allianz schickte sie zurück an den Absender. Eine empfindliche Niederlage für Gesundheitsminister Alain Berset.
Smoking, drinking, never thinking of tomorrow. Nonchalant.
«Die mächtigen Lobbyisten der Tabakindustrie haben ganze Arbeit geleistet», findet denn auch die «NZZ am Sonntag». «Ganze Arbeit» leistet jedoch auch die staatliche Gesundheitsfürsorge: Mit einem bunten Strauss an Kampagnen, Gesetzesvorlagen und Massnahmeplänen will sie den Bürger von den Geisseln unserer Zeit befreien: Alkohol, Übergewicht, Faulenzen, Glücksspiel – das Laster hat viele Gesichter. Und der Bund jeweils die passende Antwort.
«Genug!», findet manch liberaler Geist in Bundesbern. So etwa Ständerat Ivo Bischofberger (CVP/AI): «Leben ist immer lebensgefährlich», zitierte er in der Sommersession Erich Kästner, um dann die Entmündigung der Bürger zu geisseln:
Die heutige allumfassend angelegte Prävention führt nicht zu mehr Eigenständigkeit und Selbstverantwortung. Sie gewöhnt den Menschen vielmehr an seine Bevormundung.
Bischofberger machte wie andere bürgerliche Ratskollegen darauf aufmerksam, dass das Parlament schon 2012 das neue Präventionsgesetz zurückgewiesen habe; Nationalratskollege Gregor Rutz (SVP/ZH) empört sich derweil über den «ausufernden Aktivismus» der Berner Gesundheitsstrategen – als Präsident der Vereinigung des Schweizerischen Tabakwarenhandels ist er freilich nicht ganz unparteiisch.
Ein gesünderes, besseres Leben
Der vermeintliche «Aktivismus» reicht, gerade in der Raucherprävention, weit zurück. Doch erst 2001 lancierte das Bundesamt für Gesundheit seine erste offizielle Anti-Raucher-Kampagne: «Rauchen schadet» – eine Erkenntnis, die man damals offenbar noch für mitteilungswert hielt.
Damit reihte sich das BAG in die internationale Allianz gegen den blauen Dunst ein. Doch die Frage, wie Vater Staat seine Bürger, wie es in der Verfassung der WHO heisst, in einen «Zustand vollständigen, geistigen und sozialen Wohlbefindens» überführen soll, scheidet die Geister – auch bei der Tabakprävention.
- Schock und Furcht
In den 1990ern nahm der US-geführte Krieg gegen das Rauchen Fahrt auf. Was bereits die Nationalsozialisten vermuteten, erhärteten nun amerikanische Studien: Auch Passivrauchen schadet Ihrer Gesundheit. Rauchen wurde, wissenschaftlich erhärtet, vom Suizid auf Raten zur Gefahr für die (abstinente) Allgemeinheit.
Und die Raucher selbst zu «unverantwortlichem Gesindel, das die Gesundheit ihrer Mitmenschen schädigt» – wie es der militante Raucher (und österreichische Kulturschaffende) Walter Wippersberg formuliert.
Verbreitet wurde die Botschaft mit verstörenden Schockkampagnen. Sie standen Pate für das Grauen, das auch heute noch über amerikanische und britische Fernseher flimmert.
- Denn sie wissen nicht, was sie tun
Im Gegensatz zur harten angelsächsischen Schule setzten hiesige Gesundheitsschützer auf Information statt Schockwirkung: Sie schrieben sich Schlagworte wie «Partizipation», «Risikokompetenz» oder neudeutsch «Empowerment» («Selbstermächtigung») auf die Fahne.
Was bieder klingt, kam freundlich daher: 2008 lancierte das BAG etwa die Kampagne «Weniger Rauch, mehr Leben». Das erklärte Ziel: «Die neue soziale Norm, das Nichtrauchen, breit sichtbar machen» – und das in bewährter «positiver Tonalität».
Dem Regulierungseifer taten die unterschiedlichen Herangehensweisen dies- und jenseits des Atlantiks keinen Abbruch: Die westliche Hemisphäre wurde in den letzten 20 Jahren zur mehrheitlich rauchfreien Zone.
- Ein Stups in die richtige Richtung
Wieder ausgehend von den USA hält in den letzten Jahren eine sanfte Revolution Einzug: Das «Nudging», zu Deutsch: «Anschubsen». Das Konzept basiert auf Erkenntnissen der Verhaltensökonomie und soll Menschen ermuntern, bessere Entscheidungen zu treffen. Wer jemals zielgenau die Fliege im Pissoir anvisierte, hat den freundlichen Schubs schon am eigenen Leib erfahren.
Unter US-Präsident Obama wurde «Nudging» quasi zur Staatsdoktrin. Auch «Merkels Musterbürger» greifen mittlerweile selbstbewusst zum Apfel statt zum Donut; die Kalorienbombe aus dem hintersten Winkel des Regals zu fischen, wäre zu viel Aufwand.
Auch in der Schweiz wird das Potenzial zusehends erkannt: Grünen-Nationalrat Bastien Girod macht sich derzeit für «Nudge statt höherer Tabaksteuer» stark. Und auch das Bundesamt für Gesundheit begleitet künftige Nichtraucher in eine «neue Freiheit, die ohne Gift auskommt, nichts kostet und nicht süchtig macht». Der Staat als Motivations-Guru – das Ende der Präventionsgeschichte?
Sendebezug: SRF 4 News, 5.12.16, 18 Uhr.