Der Nachrichtendienst des Bundes (NDB) hat die Aufgabe, Cyberangriffe auf die Schweiz frühzeitig zu erkennen und zu verhindern. Nun könnte es aber sein, dass die Cyberspezialistinnen und -spezialisten des NDB beim Erfüllen dieser Aufgabe den Bogen überspannt haben.
Der Bundesrat hat nämlich eine Administrativuntersuchung gegen den Nachrichtendienst eröffnet, weil dieser Informationen über potenzielle Angreifer sammelte – obwohl er dazu keine Genehmigung hatte.
Neue Perspektive auf Abgang von Gaudin
Die Geschichte liest sich wie ein Krimi. Da sind ausländische Hacker, die Cyberangriffe gegen die Schweiz verüben. Der Nachrichtendienst realisiert das und versucht, diese Angriffe abzuwehren. Dabei hält sich der Nachrichtendienst aber – gemäss heutigen Erkenntnissen – nicht an das Gesetz. Konkret: Ein solcher Angreifer hinterlässt Datenspuren im Internet. Der NDB sammelte genau solche Daten, um die Angriffe abzuwehren.
Das Problem dabei: Der NDB darf nicht einfach machen, was er will. Er muss für solche Aktionen eine Bewilligung beim Bundesverwaltungsgericht einholen und er muss auch den Vorsteher oder die Vorsteherin des Verteidigungsdepartements um das Einverständnis ersuchen. Beides soll der NDB bei der Abwehr von gegen 100 Angriffen aber unterlassen haben. Dies in einem Zeitraum von 2015 bis 2020.
Gemäss Informationen des Verteidigungsdepartements soll der damalige Chef des Nachrichtendienstes, Jean-Philippe Gaudin, diese Aktivitäten im April 2021 eingestellt und die Departementsvorsteherin Viola Amherd darüber informiert haben. Kurze Zeit später nahm Gaudin den Hut. Aus heutiger Perspektive scheint klar, dass diese Geschichte das ihrige zu Gaudins Abgang beitrug. Das Vertrauensverhältnis soll schon länger strapaziert gewesen sein.
Anfänglich führte der Nachrichtendienst selber eine interne Untersuchung zu diesen Aktivitäten durch. Heute nun hat der Bundesrat informiert, dass eine sogenannte Administrativuntersuchung eröffnet worden sei. Der frühere Bundesrichter Niklaus Oberholzer, der in letzter Zeit bei verschiedenen Untersuchungen über Unregelmässigkeiten in der Verwaltung zum Zug kam, führt diese Untersuchung durch.
Die Frage ist, ob die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Nachrichtendienstes wussten, was sie taten. Ob sie also bewusst das Gesetz verletzten, weil es vielleicht einfacher war. Oder ob es Nachlässigkeit war, was ziemlich peinlich wäre.
Der NDB in der Vertrauenskrise
Die oberste parlamentarische Aufsichtsbehörde – die Geschäftsprüfungsdelegation – beschäftigt sich ebenfalls schon länger mit dieser Affäre. Auch heute stand das Thema auf der Traktandenliste einer Sitzung. Zu deren Resultaten will sich die Geschäftsprüfungsdelegation aber erst am Donnerstag äussern.
Die Affäre wirft erneut ein schlechtes Licht auf den Geheimdienst. Vor zwei Jahren erfuhr die Öffentlichkeit, dass der NDB Informationen über politische Betätigungen von Personen sammelte, teilweise im Widerspruch zu den rechtlichen Vorgaben. Und in der Crypto-Affäre zeigte sich, dass die frühere NDB-Spitze den Bundesrat über diverse Machenschaften nicht informierte.
Am ersten 1. April wird der neue Chef Christian Dussey sein Amt antreten. Eine vordringliche Aufgabe wird sein, das Vertrauen in seine Behörde wieder herzustellen.