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Neue maritime Strategie für die Schweiz
Aus 10 vor 10 vom 20.04.2022.
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Reederei-Grossmacht Welche Rolle spielt die Schweiz als Seemacht?

Das Binnenland Schweiz gilt als viertgrösster Reedereistandort Europas und ist damit stark in die globale Schifffahrt verwickelt, insbesondere auch durch Schiffe unter Kontrolle der hiesigen Rohstoffhändler. Auch als Flaggenstaat in der Flusskreuzfahrt spielt die Schweiz eine beträchtliche Rolle. Korruptionsexperte und Buchautor Mark Pieth liefert in einem Gespräch Antworten über die bestehenden Herausforderungen der Schweizer Seemacht.

Mark Pieth

Geldwäschereiexperte

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Pieth ist emeritierter Strafrechtsprofessor und ein international ausgewiesener Experte für Geldwäscherei. 2016 war er Mitglied eines Expertengremiums, das nach dem Panama-Papers-Skandal der Regierung Panamas Vorschläge für transparentere Finanz- und Rechtssysteme machte. Er hat im Jahr 2022 zusammen mit Kathrin Betz das Buch «Seefahrtnation Schweiz» verfasst.

 SRF News: Warum gilt die Schweiz als Seemacht?  

Mark Pieth: Nur wenige Hochsee-Schiffe fahren unter Schweizer Flagge, das ist einigermassen bekannt. Wir haben aktuell noch 17 Schiffe nach der Finanzkrise. Weniger im öffentlichen Bewusstsein ist, dass die Schweiz eine Reederei-Grossmacht ist – da haben wir je nach Zählweise 1000 oder 2500 Schiffe, die von der Schweiz aus geführt werden. Die meisten Schiffe, die von der Schweiz aus bewegt werden, fahren unter Flaggen wie Panama oder Liberia. Sie kosten wenig, und die Kontrolle ist lasch.

Was versteht man unter Reederei?

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Die Reederei ist eine Gesellschaftsform im Seerecht. Als Unternehmen beruht ihr Zweck darauf, den Transport von Waren und Personen mit Schiffen zu definieren. Dies bezieht sich auf die die See- oder Binnenschifffahrt. Der sogenannte Reeder trägt die Verantwortung für den Betrieb und den Unterhalt der Schiffe.

Welche Probleme bringt die Reederei mit sich?

Die Schifffahrt ist riskant: Jede Woche geht ein grösseres Frachtschiff unter. Zudem gilt es, mehr zu tun gegen die notorische Intransparenz der Branche, gegen die Umweltverschmutzung und gegen haarsträubende Arbeitsbedingungen auf See. Die Umwelt stellt natürlich ein besonders grosses Problem dar.

Die offizielle Schweiz nimmt nicht zur Kenntnis, in welchem Ausmass wir Mitverantwortung tragen.

Wir sind sicher nicht die einzigen, aber wir sind für all diese Probleme mitverantwortlich. Ich denke, die offizielle Schweiz nimmt nicht zur Kenntnis, in welchem Ausmass.

Die Schweiz als globaler Reederei-Player

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Die Sache ist kompliziert, denn Reederei ist keine klar definierte Tätigkeit – und Reeder sind häufig gar nicht Eigentümer ihrer Schiffe, sondern Manager, Betreiber oder Charterer. Das Eidgenössische Finanzdepartement (EFD) schätzt die Reederei-Industrie in der Schweiz auf 60 Unternehmen mit rund 900 Schiffen. Am bekanntesten ist die MSC (Mediterranean Shipping Company) mit Sitz in Genf, das grösste Container-Schifffahrtsunternehmen der Welt. Gemessen an der Tonnage kommt das EFD zum Schluss, dass die Schweiz 2019 weltweit Platz 9 belegt.

Andere Berechnungen zählen die Schiffe der in der Schweiz ansässigen Rohstoff-Firmen hinzu: Firmen wie zum Beispiel Glencore, der Ölhändler Gunvor, oder Vitol, die natürlich viele Rohstoffe transportieren. Insgesamt kommen Beobachter mit dieser etwas anderen Zählweise auf rund 2600 statt auf 900 Schiffe, die von der Schweiz aus bereedert werden. Nach dieser Zählweise wäre die Schweiz gar die Nummer zwei weltweit unter den Reederei-Standorten.

Was müsste die Schweiz dagegen tun?

Die Schweiz sitzt in allen möglichen Gremien – zum Beispiel in der IMO, der International Maritime Organisation, oder auch in der UNO, wo es unter anderem um Umweltfragen geht. Heute geben in diesen Gremien die Billigflaggen, wie zum Beispiel Panama, den Ton an. Sie vertreten die Interessen der ganz grossen Reeder, nicht unbedingt die Interessen der Umwelt. Da könnte die Schweiz zum Beispiel dafür sorgen, dass wir bis 2050 klimaneutral werden. Wir tun so als hätten wir nur 17 Schiffe, und nicht 2000 – wir verstecken uns ein bisschen.

MSC Containerschiff
Legende: «Wenn es darum geht, sich mit Problemen auseinanderzusetzen, die von in der Schweiz niedergelassenen Reedereien mitverursacht werden, verstecken sich die Schweizer Behörden gerne hinter dem heimeligen Bild der Alpenrepublik fernab von den Weltmeeren», konstatieren Mark Pieth und Kathrin Betz in ihrem neuen Buch «Seefahrtnation Schweiz». Keystone

Der Bundesrat hat dem EDA den Auftrag gegeben, eine maritime Strategie auszuarbeiten. Was halten Sie davon?

Ich finde gut, dass wir das überhaupt machen. Bis jetzt war die Wahrnehmung Vierwaldstättersee und Dampfschiffe. Eine der grossen Fragen wird sein, ob wir die eigene Flagge behalten sollen oder nicht. Sie wurde im Zweiten Weltkrieg für die Landesversorgung eingerichtet. Und in den letzten Jahren ist die Schweiz damit auf die Nase gefallen, man musste Notverkäufe tätigen und die Bundes-Bürgschaften ziehen.

Nun stellt sich die Frage: Braucht man diese Flagge noch?  Ich denke, die Bürgschaften muss man fallen lassen. Aber wir könnten attraktiv sein mit unserer Flagge, wenn wir eine seriöse und saubere Flagge haben, indem wir beispielsweise Mindeststandards bei den Arbeitsbedingungen garantieren.

Sollte die Schweiz also ihre Flagge ausbauen?

Das ist sinnvoll, dürfte aber schwierig werden – die Konkurrenz ist natürlich gross: Billigflaggen, dort wo man keine Steuern zahlt, wo beispielsweise auch arbeitsrechtlich nicht genau hingeschaut wird. Die Schweiz müsste bei diesen Punkten ankoppeln und sich dagegen wenden. Die Schweizer Flagge könnte attraktiver gestalten werden, in dem sie sauberer wird, arbeitsrechtlich und umwelttechnisch. Im Moment ist es noch so, dass sie hauptsächlich Schrottkähne hat – wir müssten in eine Richtung gehen, wo Schiffe nicht so leicht kaputtgehen.

10v10, 20.04.2022, 21:50 Uhr ; 

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