Das Binnenland Schweiz gilt als viertgrösster Reedereistandort Europas und ist damit stark in die globale Schifffahrt verwickelt, insbesondere auch durch Schiffe unter Kontrolle der hiesigen Rohstoffhändler. Auch als Flaggenstaat in der Flusskreuzfahrt spielt die Schweiz eine beträchtliche Rolle. Korruptionsexperte und Buchautor Mark Pieth liefert in einem Gespräch Antworten über die bestehenden Herausforderungen der Schweizer Seemacht.
SRF News: Warum gilt die Schweiz als Seemacht?
Mark Pieth: Nur wenige Hochsee-Schiffe fahren unter Schweizer Flagge, das ist einigermassen bekannt. Wir haben aktuell noch 17 Schiffe nach der Finanzkrise. Weniger im öffentlichen Bewusstsein ist, dass die Schweiz eine Reederei-Grossmacht ist – da haben wir je nach Zählweise 1000 oder 2500 Schiffe, die von der Schweiz aus geführt werden. Die meisten Schiffe, die von der Schweiz aus bewegt werden, fahren unter Flaggen wie Panama oder Liberia. Sie kosten wenig, und die Kontrolle ist lasch.
Welche Probleme bringt die Reederei mit sich?
Die Schifffahrt ist riskant: Jede Woche geht ein grösseres Frachtschiff unter. Zudem gilt es, mehr zu tun gegen die notorische Intransparenz der Branche, gegen die Umweltverschmutzung und gegen haarsträubende Arbeitsbedingungen auf See. Die Umwelt stellt natürlich ein besonders grosses Problem dar.
Die offizielle Schweiz nimmt nicht zur Kenntnis, in welchem Ausmass wir Mitverantwortung tragen.
Wir sind sicher nicht die einzigen, aber wir sind für all diese Probleme mitverantwortlich. Ich denke, die offizielle Schweiz nimmt nicht zur Kenntnis, in welchem Ausmass.
Was müsste die Schweiz dagegen tun?
Die Schweiz sitzt in allen möglichen Gremien – zum Beispiel in der IMO, der International Maritime Organisation, oder auch in der UNO, wo es unter anderem um Umweltfragen geht. Heute geben in diesen Gremien die Billigflaggen, wie zum Beispiel Panama, den Ton an. Sie vertreten die Interessen der ganz grossen Reeder, nicht unbedingt die Interessen der Umwelt. Da könnte die Schweiz zum Beispiel dafür sorgen, dass wir bis 2050 klimaneutral werden. Wir tun so als hätten wir nur 17 Schiffe, und nicht 2000 – wir verstecken uns ein bisschen.
Der Bundesrat hat dem EDA den Auftrag gegeben, eine maritime Strategie auszuarbeiten. Was halten Sie davon?
Ich finde gut, dass wir das überhaupt machen. Bis jetzt war die Wahrnehmung Vierwaldstättersee und Dampfschiffe. Eine der grossen Fragen wird sein, ob wir die eigene Flagge behalten sollen oder nicht. Sie wurde im Zweiten Weltkrieg für die Landesversorgung eingerichtet. Und in den letzten Jahren ist die Schweiz damit auf die Nase gefallen, man musste Notverkäufe tätigen und die Bundes-Bürgschaften ziehen.
Nun stellt sich die Frage: Braucht man diese Flagge noch? Ich denke, die Bürgschaften muss man fallen lassen. Aber wir könnten attraktiv sein mit unserer Flagge, wenn wir eine seriöse und saubere Flagge haben, indem wir beispielsweise Mindeststandards bei den Arbeitsbedingungen garantieren.
Sollte die Schweiz also ihre Flagge ausbauen?
Das ist sinnvoll, dürfte aber schwierig werden – die Konkurrenz ist natürlich gross: Billigflaggen, dort wo man keine Steuern zahlt, wo beispielsweise auch arbeitsrechtlich nicht genau hingeschaut wird. Die Schweiz müsste bei diesen Punkten ankoppeln und sich dagegen wenden. Die Schweizer Flagge könnte attraktiver gestalten werden, in dem sie sauberer wird, arbeitsrechtlich und umwelttechnisch. Im Moment ist es noch so, dass sie hauptsächlich Schrottkähne hat – wir müssten in eine Richtung gehen, wo Schiffe nicht so leicht kaputtgehen.