Nach der «historischen Verschiebung vom 20. Oktober» wie Grünen-Präsidentin Regula Rytz sagt, ist es Zeit für einen grünen Bundesrat. Denn die Grünen spielen in der gleichen Liga wie die CVP und die FDP, meint Rytz im Interview.
SRF: Regula Rytz – wieviel würden Sie darauf wetten, dass Sie heute in knapp drei Wochen Bundesrätin sind?
Regula Rytz: Ich mache keine Wetten, ich vertraue auf die anderen Parteien. Dass sie respektieren, was am 20. Oktober geschehen ist. Das war eine historische Stärkung der Grünen. Es ist ein Auftrag für mehr Ökologie und Umweltpolitik hier im Bundeshaus und auch im Bundesrat. Und ich hoffe, sie werden jemanden von den Grünen wählen.
Sie sind also nicht der weibliche Winkelried, der sich opfert, damit es das nächste Mal klappt?
Nein, es ist ganz klar eine historische Verschiebung gewesen. Die Grünen spielen in der gleichen Liga wie die FDP oder die CVP. Wir sind wie eine Bundesratspartei ohne Bundesrat und es ist in einer Konkordanzregierung absolut normal, dass man dort alle wichtigen politischen Spieler miteinbezieht.
Die politische Stabilität ist in diesem Land sehr wichtig. Ist es wirklich schlau, wenn eine Partei einen grossen Sieg einfährt, gerade auch die Zusammensetzung der Regierung zu ändern?
Wir haben eine Konkordanzregierung mit sieben Mitgliedern und wenn man ein Mitglied auswechselt, dann denke ich nicht, dass man die Stabilität des Landes gefährdet. Im Gegenteil: es ist stabiler, wenn man wichtige politische Kräfte miteinbezieht – vor allem jetzt die der Ökologie.
Die SVP hat lange warten müssen, bis sie angemessen im Bundesrat vertreten war. Und auch die Grünen haben sich nicht dafür eingesetzt, dass es schneller geht. Sollen jetzt andere Regeln gelten?
Die SVP ist seit 1929 im Bundesrat. Bei dieser Partei ist es um den zweiten Sitz gegangen. Da hat die SVP ganz klar darauf beharrt, dass es einen Wählerinnen- und Wählerwillen gibt. 2003 hat man die Zauberformel angepasst und jetzt ist auch wieder der Moment da, dies zu machen.
Diese Grünen wollten schon Bundesrätin oder Bundesrat werden
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Bild 1 von 8. Cécile Bühlmann (LU). Als im Bundesrat im Jahr 2000 ein Ersatz für den zurücktretenden Adolf Ogi (SVP) gesucht wurde, nominierte die Grüne Partei Cécile Bühlmann als Sprengkandidatin. Sie erhielt im ersten Wahlgang 53 Stimmen und zog sich dann nach dem vierten Wahlgang zurück. Gewählt wurde Samuel Schmid (SVP). Bildquelle: Keystone.
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Bild 2 von 8. Ruth Genner (ZH). Bei den Bundesratswahlen im Jahr 2003 stand mit Ruth Genner die damalige Co-Präsidentin der Grünen bereit, falls Christoph Blocher (SVP) nicht gewählt worden wäre. Dieser verdrängte jedoch Ruth Metzler (CVP) aus dem Bundesrat, der grüne Plan wurde hinfällig. Ruth Genner erhielt schliesslich 20 Stimmen. Bildquelle: Keystone.
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Bild 3 von 8. Luc Recordon (VD). Mit Luc Recordon wollten die Grünen bereits 2007 Christoph Blocher (SVP) angreifen. Als sich abzeichnete, dass Evelyne Widmer-Schlumpf Chancen hatte, zog Recordon die Kandidatur zurück. 2008 wollten die Grünen mit ihm den Sitz von Samuel Schmid (SVP) beerben. Er erhielt aber weniger als zehn Stimmen. Gewählt wurde schlussendlich Ueli Maurer (SVP). Bildquelle: Keystone.
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Bild 4 von 8. Brigit Wyss (SO). Bei den Bundesrats-Ersatzwahlen 2010 wurde Brigit Wyss von der Grünen Partei nominiert, um Nachfolgerin von Hans-Rudolf Merz (FDP) zu werden. Wyss erhielt im ersten Wahlgang 57 Stimmen, zog sich jedoch nach dem dritten Wahlgang zurück. Gewählt wurde Johann Schneider-Ammann (FDP). Bildquelle: Keystone.
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Bild 5 von 8. Leni Robert-Bächtold (BE). Die einstige FDP-Politikerin wurde als erste Grüne des Kantons Bern Nationalrätin. Bei den Bundesratswahlen 1987 und 1991 war Robert zwar nicht offiziell nominiert, erhielt jedoch jeweils im ersten Wahlgang beachtliche 17, respektive 19 Stimmen. Gewählt wurde beide Male Adolf Ogi (SVP). Bildquelle: Keystone.
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Bild 6 von 8. Pia Hollenstein (SG). 1995 traten vier grüne Frauen in einer Protestwahl bei den Bundesratswahlen an, jedoch ohne durch die Partei nominiert worden zu sein. Neben Cécile Bühlmann, die im Jahr 2000 offiziell kandidierte, gehörte zum Quartett auch Pia Hollenstein. Sie erhielt bei der Wahl von Flavio Cotti (CVP) im ersten Wahlgang 13 Stimmen. Bildquelle: Keystone.
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Bild 7 von 8. Ruth Gonseth (BL). Auch Ruth Gonseth trat 1995 aus Protest und ohne Nomination durch die Partei bei den Bundesratswahlen an. Sie erhielt bei der Wahl von Arnold Koller (CVP) im ersten Wahlgang 12 Stimmen. Bildquelle: Keystone.
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Bild 8 von 8. Franziska Teuscher (BE). Die Berner Stadträtin griff 1995 bei der Bundesratswahl den Sitz von Adolf Ogi (SVP) an. Sie erhielt im ersten Wahlgang 20 Stimmen und zog sich danach wie die anderen drei grünen Kandidatinnen zurück. Bildquelle: Keystone.
Sie argumentieren jetzt gleich wie die SVP mit dem Wählerwillen. Werden da aber die Mitglieder des Bundesrates nicht zu Wahlkämpferinnen und Wahlkämpfern, wenn sie Angst haben müssen, dass sie bei den nächsten Wahlen wieder abgewählt werden könnten?
Nein das ist nicht so. Sie sehen ja, wie um uns herum die europäischen Regierungen unstabil sind und sehr schnell wechseln können. Wir haben zum Glück eine grosse Stabilität und es geht ja um kleine Verschiebungen. Es geht ja darum in einem Siebener-Gremium eine Person auszutauschen um eine neue politische Kraft einzubinden. Das ist eine ganz andere Frage. Es ist also nicht eine völlige Umbildung der Regierung wie sie zum Beispiel in Österreich geschieht.
Sie statt Ignazio Cassis im Bundesrat würde heissen: Null Bundesräte aus dem Tessin und mit Simonetta Sommaruga zwei aus dem Kanton Bern. Ist das gut für den Zusammenhalt des Landes?
Ich denke, dass das tatsächlich eine berechtigte Kritik der Menschen aus dem Tessin ist. Ich nehme dies absolut ernst und ich verstehe das, dass es keine gute Situation ist. Auf der anderen Seite: Wir haben nicht die Möglichkeit, dass wir sämtliche Aufträge der Bevölkerung gleichzeitig im Bundesrat vertreten können. Für mich ist der grosse Auftrag die Klimawahl und die Ökologie. Man muss sehen: die Grünen und die Grünliberalen zusammen haben jetzt 21 Prozent der Stimmen – ökologische Stimmen, die heute nicht im Bundesrat vertreten sind. Und weil kein Platz frei ist, müssen wir eben gegen einen amtierenden Bundesrat antreten.
Das Gespräch führte Nathalie Christen.