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Reise durch die Schweiz Ohne einen Cent durch den Advent

Vom Fusse des Matterhorns bis an den Bodensee – dies die Route für meine winterliche Reise ohne Geld durch die Schweiz. Bei nasskaltem Wetter so zu reisen ist eine neue Herausforderung für mich. Belohnt werde ich mit herzerwärmenden Begegnungen.

In der Vorweihnachtszeit ohne Geld durch die Schweiz zu reisen – ohne Geld –, ist nicht nur angenehm. Es ist kalt, nass und häufig grau – viele Leute sind im Stress wegen Jahresabschlüssen im Geschäft oder letzten Einkäufen für die Festtage. Ob mich die Leute wieder so unkompliziert beherbergen, wenn ich irgendwo an der Türe klingle und nach einer Übernachtung frage?

Im Sommer hat das jeweils gut funktioniert. Schon zweimal bin ich für die Sendung Schweiz aktuell quer durch die Schweiz gereist. Einmal von Schaffhausen nach Chiasso und einmal von Genf bis ins Münstertal im Kanton Graubünden . Bei spontanen Begegnungen erlebte ich erstaunlich viel Offenheit und Gastfreundschaft. Ich habe immer einen Platz zum Schlafen und Essen bekommen. Um mich zu revanchieren, half ich im Haus, Garten oder im Geschäft mit.

Karte der Schweiz mit markierten Orten Bern-Bethlehem, Einsiedeln, Wienacht, St. Niklaus, Zermatt.
Legende: Vom Wallis über Bern, Einsiedeln bis nach Wienacht im Appenzellerland: Die Reise durch den Advent von Matthias Rusch. SRF

Beim Start meiner viertägigen Reise ohne einen Cent durch den Advent in Zermatt muss ich mir zunächst Essen besorgen, weil ich gar nichts dabei habe – ausser einer Wasserflasche. In einer Bäckerei frage ich nach einem Arbeitseinsatz, ohne zu sagen, dass ich vom Fernsehen bin. Und siehe da: die Chefin Sandra Fuchs ist völlig unkompliziert, überlegt nur kurz und sagt spontan zu.

Mein Glück: Sandra Fuchs war früher selber häufig als Rucksacktouristin in der ganzen Welt unterwegs. So kann ich eine Stunde lang sogenannte Matterhörnli in kleine Kartonboxen verpacken, eine Praline-Spezialität des Familienbetriebs. Und: Ich kriege dafür reichlich Proviant von einem Sandwich über eine Wähe bis zu Brownies.

Mann in blauer Winterjacke beim Wandern im Schnee.
Legende: Ohne Geld reist «Schweiz aktuell»-Reporter Matthias Rusch diesen Advent durch die winterliche Schweiz. SRF

So ziehe ich los mit vollem Rucksack und wandere am ersten Tag 20 Kilometer nach St. Niklaus im Mattertal, wo ich erstmals übernachten will. Spontan spreche ich Leute auf der Strasse an und filme die Begegnungen mit meinem Handy. Allerdings ohne zu verraten, dass ich vom Schweizer Fernsehen bin.

Grosse Gastfreundschaft im kleinen Dorf

Und ich habe wieder Glück: Schon beim zweiten Versuch lande ich einen Volltreffer. Adèle und Andreas Pollinger laden mich spontan zu sich nach Hause ein. Und zögern auch nicht, als ich ihnen gestehe, dass ich dieses Experiment fürs Fernsehen filme.

Drei Personen frühstücken an einem Küchentisch.
Legende: Adèle und Andreas Pollinger in St.Niklaus VS beeindrucken mich mit ihrer Gastfreundschaft und damit, wie sie ihr Schicksal meistern. SRF

Nebst der grossen Gastfreundschaft der beiden beeindruckt mich noch etwas Anderes beim Ehepaar Pollinger, dass seit über 40 Jahren verheiratet ist. Trotz schweren Schicksalsschlägen gehen die beiden voller Zuversicht durchs Leben. Andreas hatte mit 19 Jahren einen schweren Skiunfall. Er lag 53 Tage im Koma. Geistig hat er sich wieder voll erholt, ist seither aber sprachlich und körperlich eingeschränkt. Jammern tut er deswegen nicht: «Vor dem Unfall war einfach alles selbstverständlich. Jetzt schätze ich viel mehr, was ich trotz meiner Einschränkungen alles noch tun kann».

Er arbeitet voller Einsatz in einem Betrieb im Dorf und hat mit seiner Frau Adèle eine Familie mit fünf Kindern gegründet. Adèle erkrankte vor vier Jahren an Krebs. In dieser schweren Zeit habe ihr der Glauben viel Halt gegeben. Mittlerweile ist die 60-Jährige wieder gesund und geniesst mit ihrem Ehemann das Leben. 

Der Zufall als bester Regisseur

Im Laufe meiner Reise durch die Schweiz zeigt sich immer wieder: Der Zufall ist der beste Regisseur. Im Berner Aussenquartier Bethlehem suche ich am zweiten Tag stundenlang ein Nachtlager und kassiere ganz viele Absagen. Vielleicht trauen mir die Leute in der Anonymität der Stadt nicht so recht? Und da treffe ich den kurdischen Türken Haci Karakoyun. Er will gerade seine Tochter aus dem Kindergarten abholen. Und sagt ohne zu Zögern spontan zu, als ich frage, ob ich bei ihm übernachten könne. Er meint: «Ich vertraue den Menschen und will, dass die Menschen auch mir vertrauen».

Mann in Winterjacke vor Wohngebäude und Spielplatz.
Legende: Haci Karakoyun nimmt mich in Bern-Bethlehem ohne zu zögern bei sich zuhause auf. SRF

Dies zu hören in einer gesichtslosen Vorstadtsiedlung, tut besonders gut. Und so kann ich bei ihm und seiner Schweizer Frau Babette Roth übernachten. Tochter Ronya räumt extra ihr Zimmer, damit ich dort schlafen kann. Die drei sind meine ganz persönlichen Sterne von Bethlehem. Diese Spontanität und Hilfsbereitschaft, einfach grossartig!

So auch am nächsten Tag, als ich auf der Berner Autobahnraststätte Grauholz eine Mitfahrgelegenheit suche. Die Britin Sara Moore sieht, wie ich etwas verloren zwischen den Autos hin- und hergehe mit meinem Rucksack. Sie spricht mich spontan an und bietet mir eine Fahrt nach Zürich an. So komme ich an diesem Tag viel schneller weiter als gedacht.

Überhaupt klappt das «Autostöpplen» erstaunlich gut. Nie muss ich länger als fünf oder zehn Minuten warten, bis ich wieder eine Mitfahrgelegenheit habe. Am letzten Tag meiner Reise bis an den Bodensee nimmt ein Autofahrer sogar einen Umweg von 20 Minuten in Kauf, um mich direkt zu meinem letzten Etappenziel Wienacht im Kanton Appenzell Ausserrhoden zu chauffieren. 

Das Wunder von Wienacht

Und in diesem kleinen Weiler Wienacht erlebe ich ein kleines Weihnachtswunder. Angelehnt an die Weihnachtsgeschichte hatte ich mir zum Ziel gesetzt, auf einem Bauernhof im Heu zu übernachten bei den Tieren im Stall. Bei Peter Ziegler auf dem Hof Unterwienacht werde ich fündig. Hier kann ich beim Misten und Kühe füttern helfen. Und als ich nach fünf Stunden Arbeit abends um 20 Uhr zusammen mit seinen drei Buben und seiner Frau Znacht esse, erfahre ich, dass dieses Familienglück beinahe zerstört worden wäre. Im Frühling haben Zieglers einen veritablen Albtraum erlebt.

Mann und Frau sitzen an einem Tisch, mit einem Kamin im Hintergrund.
Legende: Fast wie ein Weihnachtswunder für Peter und Corina Ziegler: Ihr einjähriger Sohn überlebte den Sturz in einen Brunnen. SRF

Als sie zu Besuch waren bei Bekannten, krabbelte ihr einjähriger Sohn Yanik auf der Wiese herum. In einem Moment der Unaufmerksamkeit der Erwachsenen stürzte der Kleine in einen ebenerdigen Brunnen. Als ihn Peter Ziegler wenig später entdeckte und herausziehen konnte, atmete Yanik nicht mehr, das Gesicht war blau angelaufen.

«Ich dachte, er sei tot und war mit den Nerven völlig am Ende», so Peter Ziegler. Sofort begann seine Frau Corina mit der Reanimation. Wie durch ein Wunder begann Yanik nach kurzer Zeit wieder zu atmen. Und erholte sich vollständig von diesem Unfall. Wäre er mehr als zwei Minuten im Wasser gelegen, hätte er bleibende Hirnschäden davongetragen. Für Peter Ziegler und seine Frau Corina ist klar: «Für uns ist die vollständige Genesung von Yanik wie ein zweites Mal Weihnachten». So werden sie die Festtage dieses Jahr noch bewusster im Kreis der Familie feiern und das Zusammensein geniessen.  

Der Reporter unterwegs bei schlechtem Wetter bei Einsiedeln.
Legende: Matthias Rusch mit Sack und Pack unterwegs bei Huddelwetter, hier beim Kloster Einsiedeln. SRF

Für mich war diese Begegnung ein berührender Abschluss meiner Reise ohne einen Cent durch den Advent. Die Offenheit all meiner Gastgeber, ihre Herzlichkeit und Freude an Begegnungen, aber auch das Teilhaben Lassen an ihrem Leben haben mich tief beeindruckt. Und haben mir wieder bewusst vor Augen geführt, dass es auch in Zeiten von vielen Negativschlagzeilen immer wieder ganz viel Schönes und Gutes gibt in unserem Alltag, dass Mut macht und mich zuversichtlich ins nächste Jahr starten lässt.

Schweiz Aktuell, 23.12.2024, 19 Uhr

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