Die Schweiz gehört zu den reichsten Ländern der Welt. Doch das Geld ist sehr ungleich verteilt: Das reichste Prozent besitzt mit 45 Prozent fast die Hälfte des gesamten Vermögens. Zugleich bezahlen die Reichen einen Grossteil der Steuern. Welche Bedeutung haben die Reichen für die Schweiz? Was ist ihre Verantwortung? Und gefährdet die ungleiche Verteilung den sozialen Frieden? Weltweit und auch in der Schweiz nimmt der Druck auf die Reichen zu.
Doch ab welchem Betrag gilt man als «reich»?
Reichtum ist ein relativer Begriff. Im weltweiten Vergleich gelten wohl die meisten Schweizerinnen und Schweizer als reich. Dennoch gibt es in der Schweiz gemäss Caritas 700'000 Armutsbetroffene, die zu wenig Geld haben für Krankenkasse, angemessenen Wohnraum oder Gesundheitskosten. Eine klare Definition von «reich» gibt es nicht.
Wie beantworten Superreiche selbst die Frage nach dem «reich sein»?
Als Jugendlicher dachte Sergio Ermotti, dass er reich sei, wenn er mal ein Jahreseinkommen von 50'000 bis 60'000 Franken hätte. Heute sieht er das anders. «Ich glaube, man ist reich, wenn man es sich leisten kann, nicht zu arbeiten.» Karin Stüber macht Reichtum eher am Einkommen als am Vermögen fest, denn darüber könne man verfügen. «In der Schweiz gehört man mit einem Jahreseinkommen von einer halben Million zu den gut situierten, aber für reich braucht man dann doch eine ganze Million», sagt sie. Und für den Unternehmer Tobias Reichmuth ist man ab einem Vermögen von 10 Millionen Franken reich. «Ab diesem Betrag konnte ich mir so ziemlich alles ermöglichen oder tun und lassen, was ich wollte.»
Bei vielen Banken gelten Kundinnen und Kunden ab einem Nettovermögen von 1 Million Franken als vermögend. Fast 400'000 Steuerpflichtige gehören zur Gruppe der «Millionäre». Um zum reichsten 1 Prozent der Bevölkerung zu gehören, braucht man indes gut 8 Millionen.
Von insgesamt über fünf Millionen Steuerpflichtigen gehören nur gut 40'000 zum reichsten 1 Prozent. Sie besitzen zusammen fast die Hälfte (45 %) aller Vermögen, während sich am anderen Ende der Skala knapp zwei Drittel (62 %) der Steuerpflichtigen nur rund 3 % des Vermögens teilen.
Was Superreiche übers Reichsein sagen
Sergio Ermotti sagt, er wäre auch ohne Geld glücklich – aber Geld mache unabhängig und gebe Ruhe. «Ich mache und sage, was ich will. Und ich kann mir eine gute Lebensqualität leisten. Gleichzeitig schaue ich, dass auch die Menschen in meinem Umfeld ein gutes Leben haben.»
Erbin Stüber ist an der Goldküste in Zürich aufgewachsen und dorthin zurückgekehrt. Sie hat sich ihr Haus direkt neben dem ihrer Eltern bauen lassen. In ihrem Zuhause sucht man jedoch vergeblich nach Prunk und Protz. Die studierte Sprachwissenschaftlerin schätzt geistigen Reichtum – etwa Kunst und eine Orgel im Wert von einer Drittelmillion.
Reichmuth ist neuerdings Jachtbesitzer und geht mit seiner Oldtimer-Jacht auf Weltreise. «Ich verstehe Neid überhaupt nicht. Jeder, der auch eine Jacht will – ja, do something about it», sagt der Selfmade-Multimillionär.
Wer zum reichsten Prozent gehört, hat im Schnitt ein Vermögen von 20 Millionen. Das unterste Fünftel (22 %) hat dagegen gar kein Vermögen. Ökonomin Isabel Martinez, Expertin für Verteilungsfragen, sagt dazu: «Das Vermögen ist in der Schweiz im internationalen Vergleich sehr ungleich verteilt.» Diese Entwicklung habe sich in den letzten Jahren nochmals verschärft, da die höchsten Vermögen sehr stark gewachsen seien.
Was tun die Reichen für die Schweiz?
Die Reichen tragen erheblich zum Staatshaushalt bei. Die reichsten 10 % der Vermögenden zahlen rund 86 % der Vermögenssteuer, und die 10 % der Bestverdienenden stellen 53 % der Einkommenssteuer, was 31.6 Milliarden Franken im Jahr 2020 ausmacht – etwa ein Viertel aller Steuereinnahmen von Bund, Kantonen und Gemeinden.
«In einem progressiven Steuersystem zahlen die Reichen mehr Steuern als die Armen», sagt Isabel Martinez. «Das ist ein Verfassungsgrundsatz, der so gewollt ist.» Es sei aber auch Ausdruck der ungleichen Verteilung: Je stärker sich Einkommen und Vermögen bei einer kleinen Gruppe konzentrieren, desto konzentrierter sei auch die Steuerlast.
Reiche Unternehmerinnen und Unternehmer schaffen Arbeitsplätze, fördern Innovation und investieren in zukunftsweisende Projekte. Zudem ist die Schweiz ein führender Stiftungsstandort: Über 13'000 gemeinnützige Stiftungen verwalten 140 Milliarden und schütten jährlich rund 3 Milliarden Franken aus. Manche Reiche engagieren sich als Mäzene mit Direktspenden an Kultur, Wissenschaft, Bildung und Sportvereine. Genaue Zahlen dieser Spenden gibt es nicht, Experten schätzen den Wert auf mindestens eine Milliarde pro Jahr.
Wer protzt, provoziert
Doch Reiche sind auch Reizfiguren: Wer protzt, provoziert. Denn insgesamt werden die Reichen immer reicher, während ein Teil der Bevölkerung kaum vom wirtschaftlichen Aufschwung profitiert. Kritik richtet sich zudem gegen Praktiken, mit denen Vermögende durch Schlupflöcher ihre Steuerlast minimieren.
Studien zeigen, dass das progressive Steuersystem bei Superreichen oft nicht greift, da Kapitalerträge günstiger besteuert werden als Arbeitseinkommen. Expertinnen und Experten warnen zudem, dass Superreiche durch ihre wirtschaftliche Macht potenziell politische Entscheidungen zu ihren Gunsten beeinflussen können – ein demokratiepolitisches Problem. Ökonomin Martinez sagt dazu: «Es wird dann ein Problem, wenn eine sehr kleine, sehr vermögende Gruppe überproportionalen Einfluss auf Demokratie und Meinungsbildung nehmen kann.»
Wie viel Geld sollen Superreiche an den Staat abgeben?
Der Druck auf Vermögende nimmt zu – international werden die Forderungen nach einer höheren Besteuerung lauter. Auch in der Schweiz: Eine Initiative der Jungsozialisten nimmt reiche Erbinnen und Erben ins Visier. Die Initiative verlangt eine Bundessteuer auf Erbschaften und Schenkungen: Wer richtig viel Geld erbt, soll 50 Millionen behalten dürfen – aber auf den Rest eine Steuer von 50 Prozent bezahlen. Bund und Kantone sollen die Steuereinnahmen zweckgebunden zur Bekämpfung der Klimakrise einsetzen. Die Begründung der Juso: Weil Reiche durch ihren Lebensstil mehr CO₂ produzieren, sollen sie mehr für den Klimaschutz bezahlen.
Die Gegner warnen vor der Initiative, insbesondere befürchten sie Probleme für Familienunternehmen. Oft stecke das Vermögen in Unternehmen. Um die Steuern bezahlen zu können, müssten die Unternehmen verkauft oder zerschlagen werden. Für den Fall, dass die Initiative angenommen würde, drohen viele Reiche mit dem Wegzug ins Ausland.
Bei der Annahme der Juso-Initiative würden – sofern niemand wegzieht – gemäss Schätzungen der Universität Lausanne zwischen 2.5 und 5 Mrd. Franken zusätzlich in die Steuertöpfe von Bund, Kantonen und Gemeinden fliessen. Die Initianten selbst gehen von 6 Mrd. Franken aus.
In der Schweiz verfügen geschätzt rund 2500 Personen über ein Vermögen von mehr als 50 Millionen Franken. Insgesamt dürften sich ihre Vermögen auf rund 500 Milliarden Franken belaufen. Doch die genauen Zahlen sind umstritten: Denn bei der Berechnung der mutmasslichen Steuereinnahmen, auf welche sich der Bund stützt, wurden offenbar die weltweiten Vermögen der Pauschalbesteuerten nicht berücksichtigt. Laut einer Studie der Universität Lausanne wären 0.02 % aller Vermögen von der Initiative betroffen und innerhalb dieser Gruppe vor allem die rund 300 Haushalte mit Vermögen über ca. 200 Millionen Franken.
Betroffen von der Initiative wären auch Karin Stüber, Sergio Ermotti und Tobias Reichmuth.
«Ich und meine Familie müssten die Frage des Wegzugs im Fall einer Annahme der Initiative sicherlich prüfen», meint Sergio Ermotti. Anders präsentiert sich die Lage für Karin Stüber. «Nein, im Moment nicht», sagt sie. «Mein Unternehmen hat den Hauptsitz in der Schweiz und das wird auch so bleiben. Ich bin deshalb nicht einfach frei, ins Ausland zu ziehen.» Tobias Reichmuth findet die Frage schwierig und hofft, bei Annahme der Initiative einen Weg zu finden, der ihm ermöglicht, nicht gleich ganz wegziehen zu müssen.
Dass ein Teil der Vermögenden bei Annahme der Initiative das Land verlassen würde, ist wahrscheinlich. Doch die Prognosen gehen weit auseinander. Die Vorlage kommt voraussichtlich im Herbst zur Abstimmung.
Staatsaufgaben diskutieren
Fakt ist, die Vermögen sind in der Schweiz sehr ungleich verteilt. Und die höchsten Vermögen sind in den letzten Jahren nochmals sehr stark gewachsen. Klar ist aber auch, dass in der Schweiz nebst der Staatskasse auch viele Bereiche wie Kultur, Sport und Wissenschaft vom Geld der Superreichen profitieren.
Würde die Mehrheit davon profitieren, wenn man die Reichen stärker besteuern würde? Isabel Martinez sagt dazu: «Eine volle Staatskasse macht per se noch nicht, dass es den Leuten im Land besser geht.» Es komme darauf an, was man mit dem Geld mache. «Wir müssen diskutieren, welche Aufgaben der Staat übernehmen soll. Was kostet das und wie finanzieren wir das? Und wie wollen wir diese Finanzierungslast aufteilen?» Es sind Fragen, die die Schweiz weiter beschäftigen dürften.