Das Wichtigste in Kürze
- Das Gesetz zum Versicherungsvertrag ist uralt und sollte modernisiert sowie für Versicherte fairer gestaltet werden.
- Der Entwurf, den Bundesrat Ueli Maurer nun dem Parlament präsentiert, steht massiv in der Kritik: «Lieber keine Revision als diese» bemängeln Rechtsexperten.
- «Kassensturz» zeigt rund 30 gewichtige Artikel auf, die der Bundesrat auf Intervention des Versicherungsverbandes zu Ungunsten der Versicherten angepasst hat.
Ob Lebens-, Rechtsschutz- oder Autoversicherungen: Das Versicherungsvertragsgesetz VVG legt die Spielregeln zwischen Versicherungen und Versicherten fest.
«Eine verpasste Chance»
Das aktuell geltende Gesetz ist uralt und es benachteiligt die Versicherten gegenüber den Versicherungen, erklärt Versicherungsrechts-Professor Stephan Fuhrer von der Universität Basel: «Angetreten ist die Vorlage mit dem Anspruch, die Stellung des Versicherten zu verbessern. Was wir jetzt vor uns haben, verschlechtert die Stellung der Versicherten in ganz wichtigen Punkten.»
Stephan Fuhrer ist der angesehenste Experte in Sachen Versicherungvertragsrecht in der Schweiz. Er sass in verschiedenen Experten-Gruppen zur Revision des 100-jährigen Gesetzes. Er hat den Bundesrat und Parlamentarier dazu beraten. Im aktuellen Revisions-Entwurf ignoriert der Bundesrat seine Expertisen. «Summa summarum haben wir eine Chance verpasst, ein modernes und ausgewogenes Versicherungsvertragsgesetz zu gestalten.»
Einseitige Abänderung der Vertragsbestimmungen
Eine der grössten Verschlechterungen, die Versicherten mit dem Gesetzesentwurf aufgebrummt wird, ist Artikel 35. Darin will der Bundesrat festlegen, dass Versicherungen die Vertragsbedingungen einseitig anpassen können. Der Versicherte muss lediglich darüber informiert werden und es muss ihm eine Kündigungsmöglichkeit eingeräumt werden.
«Ein Kündigungsrecht ist gerade in der Personenversicherung eine Farce», sagt Fuhrer. «Werden Personen älter, können sie kaum mehr zu einer neuen Versicherung wechseln. In der Krankentaggeldversicherung können Sie es vergessen mit 50 oder 55 eine andere Versicherung zu finden.» Bei der Lebensversicherung würden die Prämien immer teurer, je älter eine Person werde. Da sei ein Wechsel ebenfalls unrealistisch.
Ein Werk des Versicherungsverbandes
«Kassensturz» vergleicht den aktuell präsentierten Gesetzesentwurf von Bundesrat Ueli Maurer mit dem Vorentwurf, welcher unter der vormaligen Finanzministerin Eveline Widmer-Schlumpf erarbeitet wurde. Rund 30 Artikel wurden zu Ungunsten der Versicherten abgeändert. Es sind alles Änderungen, die der Schweizerische Versicherungsverband SVV während des Vernehmlassungsverfahrens eingebracht hat.
Geplante Änderungen:
Neben dem Recht auf einseitige Anpassung der Vertragsbedingungen ist dies etwa: Versicherungen dürften künftig bei einer Kündigung nachträglich Leistungen für bereits eingetretene Schadenfälle kürzen oder einstellen.
Weitere Beispiele:
Während Wochen versucht «Kassensturz», Bundesrat Ueli Maurer für ein Interview zu gewinnen. Hauptfrage: Weshalb hat er einseitig die Forderungen des Versicherungsverbandes in den Gesetzesentwurf einfliessen lassen? Doch Bundesrat Maurer will keine Stellung vor der Kamera beziehen. Er lässt über die Kommunikationsabteilung ausrichten, dass man sich an den Auftrag des Parlaments gehalten habe und «nur notwendige Änderungen auf Grundlage des geltenden Rechts im Rahmen einer Teilrevision des VVG vorgenommen» habe.
Wo bleiben die Anliegen der Konsumenten?
Auf die Frage, weshalb die die Konsumentenanliegen im Entwurf des Bundesrates kaum berücksichtigt wurden, schreibt die Kommunikationsabteilung: «Die Vorlage enthält durchaus auch wichtige Bestimmungen, die im Interesse der Versicherungsnehmerinnen und Versicherungsnehmer liegen, wie etwa ein neues Widerrufsrecht, ein neues ordentliches Kündigungsrecht, eine Verlängerung der Verjährungsfristen oder die Beseitigung der Genehmigungsfiktion.»
Frust beim Konsumentenschutz
Sara Stalder, Geschäftsführerin der Stiftung für Konsumentenschutz, sieht die wenigen Verbesserungen für Versicherte, hält jedoch fest: «Diese wiegen die gewichtigen Nachteile des jetzigen Vorschlages nicht auf.»
Zwischen den Rechten und Pflichten von Versicherten und Versicherungen bestehe ein enormes Ungleichgewicht. Nachdem Ueli Maurer 2016 die Geschäfte von Eveline Widmer-Schlumpf übernommen hat, «haben wir gemerkt, dass für uns die Türen zu sind. Zutritt hat nur noch die Versicherungsbranche.»
Es geht um viel Geld
Die Versicherungsbranche: einflussreich und finanzstark. 2016 macht sie alleine mit Personen- und Schadenversicherungen über 8,1 Milliarden Franken Gewinn. Ihre Interessen verteidigt der Versicherungsverband SVV bei der aktuellen Teilrevision erfolgreich. Seine Forderungen in der Vernehmlassung wurden grossmehrheitlich berücksichtigt.
Gegenüber «Kassensturz» verweist der SVV, wie schon der Bundesrat auf die wenigen geplanten Verbesserungen für die Versicherten: Die Gesamtheit dieser Massnahmen würden ein hohes Schutzniveau für die Versicherungskunden bieten. Im Allgemeinen würde man den Entwurf des Bunesrates unterstützen und begrüsse, dass er auf neue Regulierungen verzichte, die Mehrkosten verursachen, ohne den Kunden einen Mehrwert zu bieten. «Konsumentenanliegen sind selten kostenneutral.»
Nun liegt es in den Händen des Parlaments. Die Mitglieder der nationalrätlichen Kommission für Wirtschaft und Abgaben WAK beraten das Geschäft als nächstes. Sie könnten im Sinne der Versicherten, Gegensteuer geben.
Bürgerliche unterstützen Bundesrat
Ob sie das tun, ist fraglich. Eine «Kassensturz»-Umfrage bei allen 25 Mitgliedern der WAK zeigt: Der Vorentwurf von SVP-Bundesrat Ueli Maurer wird von seiner eigenen Partei und der FDP begrüsst. Im Namen der FDP-Mitglieder schreibt Daniela Schneeberger: «Die Versicherten sind durch das Gesetz heute schon gut geschützt.» Die FDP gehe von mündigen Kundinnen und Kunden aus, welche nicht durch einen übermässigen obligatorischen Versicherungsschutz bevormundet werden müssten. Sie werde sich für eine ausgewogene Revision einsetzen, könne und wolle sich im Moment aber nicht zu einzelnen Artikeln äussern (Anm. Red.: Auf Wunsch FDP nachträglich eingefügt).
Die WAK-Mitglieder der SVP lassen «Kassensturz» eine Antwort aus dem Generalsekretariat zukommen. Darin heisst es: Die SVP unterstützt im Sinne des Rückweisungsauftrags das Ziel der Revision, das Gesetz zu modernisieren und gleichzeitig einen Interessenausgleich zwischen den Kunden und den Versicherern zu wahren.» Dieser würde mit der vorliegenden Vorlage gewahrt. Es gelte zu berücksichtigen, dass mehr Regulierung zu mehr Kosten führe, schreibt die SVP.
Stellungnahmen:
Linke drohen mit Rückweisung
Im Namen der SP-Mitglieder schreibt WAK-Mitglied Susanne Leutenegger-Oberholzer. «Die Verteilung der Rechte und Pflichten sind krass unausgewogen!» Den Versicherten würde nur vereinzelt Verbesserungen zugestanden.» Die Versicherungsbranche hätte ihre Anliegen durchgesetzt.
Und Regula Ritz, als Vertreterin der Grünen, schreibt: «Der Vorschlag des Bundesrates ist ein Kniefall vor den Versicherungen. Diese haben sich in der Vernehmlassung auf voller Linie durchgesetzt und zahlreiche Verschlechterungen ausgelöst.»